Die Not mancher vornehmlich psychosomatisch erkrankter Kinder vor Augen errichtete Prof. A. Hottingerer 1956 im 3. Stock des damaligen «Infektionshauses» eine kinder-psychosomatische Abteilung mit zunächst 15, später (1962/63?) 12 Betten, betreut von einem interdisziplinären Team. Eine solche kinderpsychiatrisch-psychosomatische Abteilung in einem Kinderspital gab es bis dahin schweizweit nicht.
Die fachliche Unterstützung sicherte sich Hottinger wie schon zuvor beim poliklinisch-pädopsychiatrischen Modell durch den namhaftesten Vertreter der Basler Kinder- und Jugendpsychiatrie, PD Dr. Carl Haffter. In der neuen Abteilung wurden Säuglinge, Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts aufgenommen, diagnostiziert und behandelt. Mit grossem Engagement und freilich nur wenig Erfahrung bahnte sich hier ein multidisziplinäres Team unter der Leitung von Fr. Dr. Gschwind seinen Weg durch den Dschungel der nicht nur für Basler Verhältnisse neuen Disziplin. Schon im ersten Jahr waren 81 Aufnahmen zu verzeichnen - neben insgesamt 190 Konsilien im Kinderspital! Wenige Jahre später pendelte sich die Zahl der stationär aufgenommenen Kinder und Jugendlichen zwischen 40-60 ein, dafür stieg die Zahl der Konsilien auf 400-450 pro Jahr.
Bald wurden - allem Elan und aller Unterstützung durch den Chefarzt zum Trotz - die Grenzen eines solchen stationären Behandlungssettings in einem Kinderspital deutlich. So erwies es sich für das Team als Überforderung, den disruptiv-impulsiven männlichen Jugendlichen den Rahmen zu geben, den diese benötigen - eine Erfahrung, die bis heute immer wieder die Arbeit in einer psychiatrischen Abteilung innerhalb des Kinderspitals prägt. Zugleich nahm Anfang der 1960er-Jahre die Anzahl psychosomatisch kranker Kinder und Jugendlicher in der kinderpsychiatrischen Abteilung deutlich zu. 1963 keimte kurzfristig die Idee, die Abteilung von 12 auf 20 Betten aufzustocken und in das Haus am Schaffhauserrheinweg 55 zu verlegen, in welchem - wie dargestellt - 1960 die Poliklinik untergekommen war; die Poliklinik sollte ihrerseits in Räumlichkeiten im Kinderspital umziehen - Pläne, die jedoch bald wieder fallengelassen wurden.
Platznot und auch die sehr unterschiedliche Abteilungskultur innerhalb des Kinderspitals machten dennoch allmählich einen Umzug immer dringender. Es erwies sich als ein Glücksfall, dass die Abteilung 1968 in das Haus am Schaffhauserrheinweg 57, unmittelbar neben der Poliklinik, umziehen konnte. Hier hatte man endlich eine Liegenschaft, die mehr einem ‹normalen› Zuhause entsprach und zudem mit einem eigenen Garten aufwarten konnte.
Schwerpunktmäßig veränderte sich der Charakter der Abteilung nun von einer Akutaufnahme- und Abklärungsstation zu einer pädagogisch-therapeutischen Abteilung, in welcher vielfach mehrmonatige stationäre Behandlungen realisiert werden konnten. Passend dazu wurden nun auch vermehrt Kinder mit komplexen psychischen, psychosomatischen und psychosozialen Störungsbildern aufgenommen, die in ihrer Persönlichkeitsentwicklung erheblich beeinträchtigt waren - nicht selten durch eine Umweltsituation, die wenig Halt und Orientierung vermittelt. Mitte der 1970er-Jahre wurden hier erste Konzepte für die stationäre Behandlung der Anorexia nervosa entwickelt und erfolgreich angewendet.
Unter Bürgin wurden Mitte der 1970er-Jahre die aus der Erwachsenenpsychiatrie verwaltete Poliklinik und die «kinderpsychiatrische Abteilung des Kinderspital» unter dem Dach der Kinder- und Jugendpsychiatrie zusammengeführt, die Abteilung war nun auch administrativ eine Einheit der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik. Ende 1983 wurde infolge Vertragskündigung ein neuerlicher Umzug nötig. Glücklicherweise konnte in unmittelbarer Nähe, in der Alemannengasse 60, eine neue Bleibe für die inzwischen unter dem Namen Kinderpsychiatrisch-psychotherapeutische Abteilung KPA firmierende Station gefunden werden. Auch wenn der Verlust eines eigenen Gartens und das Fehlen eines geeigneten Schulzimmers schon von Anfang an bemängelt wurde, war man doch froh, ein Haus in der Nähe der Poliklinik gefunden zu haben. Schwerpunktmäßig wurden (und werden) hier Kinder mit schweren Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungs- und emotionalen Störungen, oft aufgrund früher emotionaler Deprivation und psychosozial belasteter Familienverhältnisse, aber auch Kinder mit frühen Interaktionsstörungen (incl. Autismus) und Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHD) stationär behandelt. Die Hauptinterventionsstrategien bildeten und bilden die pädagogische Milieutherapie, die intensive Unterstützung und Beratung der Familien, eine hochfrequente Elternarbeit sowie psychotherapeutische und / oder psychopharmakologische Behandlungen.
Noch heute ist die KPA mit ihren 10 Betten für Mädchen und Jungen von 0-12 Jahren in den mittlerweile äußerst beengten Verhältnissen an der Alemannengasse beheimatet. Der Tradition entsprungen ist die gemischte Zusammensetzung des Personals aus Pflegepersonen und SozialpädagogInnen.
Eine zweite stationäre Einheit: Die BEO und ihr langer Geburtsweg
In den 1960er Jahren zeigte sich nach dem «Auszug» der kinderpsychiatrischen Abteilung in den Schaffhauserrheinweg im Jahr 1968 und nach deren allmählicher konzeptueller Veränderung mit vermehrt pädagogisch-therapeutischen Langzeitbehandlungen, daß bestimmte Patienten vorwiegend mit psychosomatischen Erkrankungen, aber auch solche mit akuten psychiatrischen Störungsbildern, Drogenmißbrauch oder Opfer von Kindesmißhandlung nur unzureichend versorgt werden können. So kamen in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre vermehrt junge Mädchen mit Anorexia nervosa in die Behandlung des Kinderspitals. Ganz langsam kristallisierte sich so in den folgenden 15-20 Jahren eine neue psychosomatische Abteilung heraus. Gewissermaßen wuchs hier die im Jahr 1968 ausgezogene Abteilung wieder nach. Dabei stand hinter der neuen stationären Behandlungseinheit lange kein klares Konzept, ja, es konnte nicht einmal von einer wirklichen «Einheit» gesprochen werden: Die Patientinnen und Patienten wurden zunächst in der Abteilung Medizin I und in der Beobachtungsstation, vereinzelt auch in der Chirurgischen Abteilung und in der Säuglingsabteilung konsiliarisch durch die Kinder- und Jugendpsychiatrie betreut und behandelt.
Dabei wurden aber die Behandlungsangebote seitens der Kinderpsychiatrie sukzessive erweitert: Anfang der 1990er-Jahre stand ein multidisziplinäres Behandlungsteam zur Verfügung mit Psychotherapie, Physiotherapie, Maltherapie, Werklehrerinnen, Kindergärtnerinnen und einer Lehrerin. Hier konnten nun Patientinnen und Patienten mit schweren Eßstörungen, Psychosen, schweren neurotischen Störungen, psychoorganischen Störungsbildern und Kinder mit Verdacht auf stattgehabte Mißhandlung betreut und behandelt werden. Die unmittelbare Nähe zur «somatischen Medizin», der Pädiatrie, erwies sich als zentraler Vorteil, wurde doch die Differentialdiagnostik insbesondere bei den psychosomatisch kranken Kindern und Jugendlichen erheblich erleichtert.
1994 formierte sich aus dem bis dahin nicht konzeptualisierten Gebilde endlich eine definierte stationäre Einheit: Nach über zwanzig Jahren wurde innerhalb des Kinderspitals der Schwerpunkt der psychiatrischen PatientInnen von der Abteilung Medizin I auf die Beobachtungsabteilung verlegt. Davon ausgehend konnte dort im selben Jahr eine eigene kinder- und jugendpsychiatrische Beobachtungsstation («BEO») mit 5 Betten eröffnet werden, zusätzlich standen 3 «Überlauf»-Betten auf der Abteilung Medizin I zur Verfügung, die wenig später - Ende 1997 - ebenfalls in die Beobachtungsstation integriert wurden. Ein solches Setting bedingte, daß eine Anzahl MitarbeiterInnen der KJUP fest der Beo zugeteilt wurden. Auch diese Station ist heute unter dem Namen «Beo» noch in Betrieb. Sie ist unverändert eine allgemeinmedizinische Station des Kinderspitals, auf welcher für die Kinder- und Jugendpsychiatrie 6-8 Betten vorgehalten werden. Die Beo fungiert als Akutaufnahmestation für Kinder und Jugendliche mit psychiatrischen und psychosomatischen Störungsbildern. Es liegt in der Natur der Sache dass in dieser Abteilung des Universitäts-Kinderspitals beider Basel (UKBB), die unter der Behandlungsverantwortung der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik KJPK steht, administrativ aber eine Abteilung des UKBB darstellt, wie in den Wurzeln angelegt ein besonderer Schwerpunkt die Betreuung psychosomatisch erkrankter Kinder und Jugendlicher sowie von Kindern mit Mißhandlungserfahrungen ist.
Der relativ rasche Wechsel in der Patientengruppe, die außerordentlich breite Altersspanne (0-18 Jahre) und die sehr unterschiedlichen Aufenthaltsdauern (Tage bis Monate) bilden - zusammen mit der ausgesprochenen Heterogenität der Krankheitsbilder - nicht nur ein Charakteristikum der Abteilung, sondern zugleich auch eine besondere Herausforderung für die dort tätigen MitarbeiterInnen. Das Team ist multidisziplinär und setzt sich aus MitarbeiterInnen aus der Krankenpflege, Spitalpädagogik, Physiotherapie, Ernährungsberatung, Pädiatrie, Musiktherapie und ärztlichen und - bei Bedarf - psychologischen MitarbeiterInnen der Kinder- und Jugendpsychiatrie zusammen. Zunehmend rückten ab Anfang der 2000er-Jahre Gruppenanlässe auf verschiedenen therapeutischen Ebenen ins Zentrum der Arbeit, das Bezugspflegesystem konnte Ende 2004 etabliert werden, außerdem erfolgten in jüngeren Jahren mehrere konzeptionelle Veränderungen, beispielsweise eine Anpassung des Therapieprogramms für Anorexie-PatientInnen an aktuelle Entwicklungen.
Lang gehegter Wunsch und Novum zugleich: eine Jugendpsychiatrische Abteilung (JPA)
Eine dritte stationäre Einheit konnte Bürgin erst 1993 realisieren. Nach einer Planungszeit von fast 20 Jahren konnte 1993 eine jugendpsychiatrische Abteilung eröffnet werden.
Schon im ersten Jahr der Amtsübernahme, 1974, hatte Bürgin darauf hingewiesen, daß eine jugendpsychiatrische Station vor dem Hintergrund zunehmend häufiger Suizidversuche und mit Blick auf die unzureichende stationäre Versorgungsstruktur in Basel unabdingbar sei. Auch in den folgenden Jahren wurde Bürgin nicht müde, dieses Anliegen und die dahinter stehenden Überlegungen mitzuteilen. Nun, 1993, konnte in der Röschenzerstrasse 7, also inmitten eines Wohnquartiers, die erste jugendpsychiatrische Station der Schweiz eröffnet werden. Die Zielsetzung war von Anfang an klar: Es ging darum, eine Station zu schaffen, in welcher neben Akutaufnahmen insbesondere auch vertiefte, mehrmonatige Abklärungen sowie die längerfristige Anbahnung (psycho-) therapeutischer Prozesse möglich sein sollte. Dabei wurde von Beginn an auch an interkantonale Aufnahmen gedacht - die JPA konnte damit für die gesamte Nordwestschweiz eine Versorgungslücke schliessen.
Die Abteilung war von Anfang an praktisch stets voll belegt, was die anhaltende Nachfrage nach einer solchen stationären Behandlungsmöglichkeit dokumentiert. Schwerpunktmäßig wurden und werden dort - neben anderen Störungen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie - Jugendliche mit Psychosen, Persönlichkeitsstörungen, hyperkinetischen und Verhaltensstörungen und affektiven Störungen behandelt.
1997/98 konnte - mit Unterstützung durch die Stiftung für das kranke Kind und mit Hilfe des Sanitätsdepartements - die Nachbarliegenschaft Röschenzerstrasse 5 erworben werden, wo eine «lower intensity care»-Einheit im Sinne einer betreuten Wohngruppe für Jugendliche aufgebaut werden konnte. Mauerdurchbrüche zum Haus Röschenzerstrasse 7 bildeten gewissermaßen neben Arbeitserleichterungen auch ein symbolisches Zeichen für Übergänge aus dem stärker klinischen Rahmen der «Röschi 7» in das mehr rehabilitative Umfeld der «Röschi 5».
Erst gegen Ende der 1990er-Jahre und zunehmend in den letzten Jahren sah und sieht sich die Jugendpsychiatrische Abteilung JPA einer wachsenden Zahl an anderen stationären jugendpsychiatrischen Versorgungsstrukturen in der Deutschschweiz und im Grenzgebiet gegenüber in einer gewissen Konkurrenzsituation, was eine Herausforderung darstellt, konstant und energisch an der Qualität der angebotenen Behandlung zu arbeiten. Die Belegungssituation änderte sich in diesem Umfeld gleichwohl praktisch nicht.
Die JPA arbeitet nach einem multimodalen Behandlungskonzept unter Einbezug von psychiatrischen, psychotherapeutischen und pädagogischen Behandlungsansätzen mit Jugendlichen beiderlei Geschlechts ab 12 Jahren - die Bettenzahl wurde sukzessive von anfangs 8 Betten auf heute 12 Betten erhöht.
Ein erstes tagesklinisches Angebot: Die Diagnostisch-Therapeutische Tagesklinik
Die schon Anfang der 1990er-Jahre von Bürgin formulierte Vision eines therapeutischen Kindergartens konnte im Jahr 2005 endlich realisiert werden. Eine Kindertagesklinik für Vorschulkinder zwischen 3 und 7 Jahren, die unter psychischen Problemen leiden und deswegen in ihrer Entwicklung gehemmt oder blockiert sind, wurde am 15.08.2005 unter der Leitung von Prof. Kai von Klitzing in einem ehemaligen Quartierkindergarten in der Kanderrerstrasse im Kleinbasel eröffnet. Die «DTK», die Diagnostisch-therapeutische Tagesklinik für Klein- und Kindergartenkinder, schloß gerade zum richtigen Zeitpunkt, nämlich mit Beginn des Kindergartenobligatoriums in Basel 2005, eine Versorgungslücke für diejenigen Kinder, die aus zumeist schweren psychiatrischen Gründen nicht den öffentlichen Kindergarten besuchen können. Das in den ersten zwei Jahren zur Hälfte aus Stiftungsgeldern (u. a. Kinder- und Jugendstiftung Murat Yakin und Stamm, Marie-Anna-Stiftung zur Unterstützung kranker Kinder, Verein für seelisch Leidende und Stiftung für kranke Kinder), zur anderen Hälfte durch die UPK finanzierte Angebot fand bald breiten Anklang und kann heute mit seinen 8 Plätzen einen wichtigen Beitrag zur Frühintervention bei Entwicklungs- und Verhaltensstörungen im Kindergartenalter leisten.
Bemerkenswerterweise erfolgte im April 2008 der Umzug der Kindertagesklinik von der Kandererstrasse in das Sunnehüsli im Waisenhaus - exakt dorthin, wo etwas mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor von Frau Dr. Bloch eine kinderpsychiatrische Beobachtungsstation eines der ersten stationären kinderpsychiatrischen Betreuungsangebote mit Liaisoncharakter dargestellt hatte.