Vom Wesen einer JubiläumsredeDanken, loben, mahnen, gedenken, vorausblicken - die Festrede vereint in ihrem Kern die wesentlichen Merkmale einer Jubiläumsfeier. Die Jubiläumsrede ist das Vehikel, mit dem der Festgemeinde und der Öffentlichkeit vor Augen geführt wird, warum man gerade heute jenes Tages vor hundert, zweihundert oder fünfhundert Jahren gedenkt. «Das historische Jubiläum lässt sich definieren als das fristgerechte, feierliche und gemeinsame Erinnern einer Gruppe an ihre eigene Geschichte», schreibt Historiker Arndt Brendecke. Dabei übernehme die Jubiläumsrede eine «Schlüsselfunktion», weil sie die Verbindung zwischen der Festgemeinde und ihrer Geschichte auszudrücken habe. Historiker Michael Mitterauer bringt diesen Sachverhalt auf eine kurze Formel: Eine Festrede sei die «Vergegenwärtigung von Geschichte». Bei den Rektorenreden der Jubiläumsfeierlichkeiten der Universität Basel wird diese Vergegenwärtigung von Geschichte deutlich sichtbar. Jeder Rektor, der je eine Rede während eines Jubiläums der Universität gehalten hat, blickt auf die Geschichte seiner Institution zurück und schildert die Entwicklung der verflossenen Jahrhunderte. Die Rektoren «reden über Geschichte», wie es Brendecke ausdrückt. Rhetorisch wird die Jubiläumsrede am ehesten der Gattung der Fest- und Gedenkreden zugeordnet. Das Historische Wörterbuch der Rhetorik beispielsweise verweist beim Stichwort Jubiläum auf den Eintrag zur Gedenkrede und definiert diese als «Lob- oder Mahnrede, die retrospektiv auf eine verstorbene Person oder ein historisches Ereignis gehalten wird». Die historische Distanz zum Gegenstand der Rede sei dabei für die Rede konstitutiv. Grob umrissen stünden zwei mögliche Stilmittel zur Verfügung: Das Lob, um die Zuhörer zur Nachahmung zu ermuntern oder die Ermahnung, um das Publikum zu einem anderen Verhalten anzuhalten. Dies im Gegensatz zu der in der römischen Kaiserzeit entstandenen Festrede, die neben dem Lob des Geehrten immer auch ein Lob Gottes enthält und auf Ermahnungen des Publikums in der Regel keinen Wert legt.
Typische Merkmale
Festlichkeit, Freude und Dank: Eine Jubiläumsrede findet im
Kontext einer Jubiläumsfeier statt, ist der Höhepunkt der Festivitäten,
deren ganzer Rahmen feierlich inszeniert wird. Dass die Jubiläumsrede
darum Festlichkeit und Freude ausdrückt, ist einigermassen
nachvollziehbar. Selbes gilt für den ausgesprochenen Dank während einer
Jubiläumsrede. Dabei unterscheidet Brendecke die Dankbarkeit gegenüber
Gott zum einen und die Dankbarkeit gegenüber Stiftern und Förderern zum
anderen. Während den Basler Reden sind beide Arten von Dankesworten im
Überfluss vorhanden. So besteht beispielsweise ein Grossteil der Rede von
Rektor Peter Merian
im Jahre 1860 in der Aufzählung und gleichzeitigen Verdankung der
verschiedenen Legate und Stiftungen, die der Universität durch das
Bürgertum zugekommen sind.
Werbecharakter: Die Aufzählung der Legate und Stiftungen von
Peter Merian erfüllt noch einen weiteren Zweck: Der Rektor verdankt die
Geschenke nicht nur, er nimmt mit der positiven Erwähnung der Spender
und mit Betonung der Verbundenheit von Universität und
Bürgertum/Obrigkeit letztere auch in die Pflicht, dieses gute Wirken
weiterhin zu tun. «Es geht eben nicht nur um Identitätsstiftung,
sondern in der Regel auch um die konkrete Bestandssicherung der
Festgemeinde und ihrer Institutionen», schreibt Brendecke. Dieser
Werbecharakter wird in den Basler Reden immer dann deutlich, wenn die
Rektoren das Verhältnis zwischen der Universität und der Stadt und
ihrem Bürgertum beschreiben. Merian will 1860 das «unsichtbare Band»
zwischen Bürgerschaft und Universität erneuern und Eberhard Vischer
braucht 1910
beinahe die gleichen Worte, um die enge Verbindung zwischen Schule,
Stadt und Bürgertum zu beschwören. Mahnen: Im Gegensatz zu einer Laudatio werden in einer Jubiläumsrede auch negative Aspekte angesprochen. Allerdings sind diese Verweise auf Scheitern, schlimme Zeiten oder begangene Fehler als Zweckpessimismus zu verstehen. Es geht laut Brendecke darum, zuerst die vergangenen Übelstände zu erwähnen, um den blühenden Ist-Zustand in einem umso helleren Licht erscheinen zu lassen. «Diese Verdunkelungsrhetorik beherbergt einen zutiefst pragmatischen (...) Kern. Sie legt die Verantwortung für die zukünftige Verbesserung in den Schoss der Zuhörer.» Im Fall der Basler Reden konzentriert sich der «Zweckpessimismus» in den Reden nach 1760 in erster Linie auf die Strukturkrise der Universität im 18. Jahrhundert und die nicht immer einfachen Reformbemühungen. Historische Kontinuität: Letztes entscheidendes Merkmal einer Jubiläumsrede ist der Blick in die Zukunft. «Aus dem Rückblick leitet sich ein Anspruch auf die Zukunft ab», schreibt Brendecke. Häufig in der Form einer Fürbitte wird um göttlichen Beistand für die Zukunft gebeten. Es geht den Rednern dabei weniger darum, aus der Schilderung der aktuellen Zustände eine gänzlich neues Modell zu entwickeln; sie möchten vielmehr die glücklichen Fügungen, das positive Geschichtsbild der eigenen Institution auch in der Zukunft erleben. Es ist eine Bitte um Stillstand, um den erfolgreichen Status Quo. Dieser typische Schluss einer Jubiläumsrede lässt sich in allen Basler Reden von 1660 bis 1910 feststellen. Ausnahmen sind die beiden Ansprachen von Ernst Staehelin in den Jahren 1939 und 1960. Die Jubiläumsrede ist nicht per se eine Lobesrede. Sie hat einen stark retrospektiven Charakter, bittet um eine gnädige Zukunft, mahnt und lobt. Sie stellt «Bezüge zwischen einst und jetzt» her und historisiert in einem festlichen Rahmen den eigentlichen Anlass, die Feier der Gründung einer Institution. Jubiläumsreden haben zudem immer mehrere Deutungsebenen: Auch wenn die Rede zu einem grossen Teil aus einem historischen Rückblick besteht, steht dieser nie ausserhalb des eigentlichen Festakts. Die Zuhörenden sind immer mitgemeint, Lob und Tadel der Institution gelten auch ihnen, den Stiftern und Förderern. Brendecke: «Im Fall des Jubiläums spricht ein Redner zugleich für und über das Publikum.» Der Redner habe dabei die Aufgabe die historische Identität und immer auch die zukunftsgerichtete Kontinuität der feiernden Gruppe zu rechtfertigen und zu sichern. |
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