Die Festrede von Rektor Prof. Dr. Peter Merian zur Vierhundertjahrfeier der Universität Basel am 7. September 1860 in der St. Martinskirche.
Drei Tage dauerten die Feierlichkeiten zum 400-jährigen Bestehen der
Universität Basel und glaubt man der offiziellen Beschreibung der
Feier, so waren es drei erlebnisreiche Tage. So wird beispielsweise von
der «gemüthlichen Anarchie» des Mahls in der zum Festsaal umgerüsteten
Einsteigehalle des Centralbahnhofs berichtet, die jegliche Ansprache
verhinderte: «Der Raum war zu gross für die menschliche Stimme.» Oder
vom Ausflug der zahlreichen Gäste nach Augst, in den noch jungen
Nachbarkanton, der aus den Trennungswirren keine dreissig Jahre zuvor
entstanden war. Beseelt vom historischen Ort, von gehaltvollen Reden
und vom Wein, schlossen sich Basler und Baselbieter in die Arme. Der
Basler Pfarrer Stähehlin erschuf an diesem Nachmittag in einer
Ansprache das Bild von Basel und dem Baselbiet als Finger einer Hand
und der Chronist hielt später in seinem Bericht fest, dass «der
Nachmittag auf den Trümmern von Augst jedem auf immer im Gedächtnis
bleiben wird. Viele Basler, viele schweizerische und ausländische Gäste
haben wir versichern hören, dass sie ihn mit zu den allerschönsten
Theilen der schönen Jubiläumsfeier zählten».
Zu diesem Zeitpunkt war der eigentlich als Höhepunkt gedachte Akt der
Jubiläumsfeier bereits vorbei. Zum letzten Mal in der St.Martinskirche
und zum ersten Mal auf Deutsch hielt der Rektor Prof. Dr. Peter Merian
am Morgen des 7. Septembers seine offizielle Jubiläumsansprache. Er gab
- der «Uebung seiner Vorgänger vor 100 und 200 Jahren folgend» eine
Übersicht über das Schicksal der Universität im verflossenen
Jahrhundert. Merian reiht sein Referat nahtlos ein in das Muster der
Reden seiner Vorgänger und beschränkt sich in erster Linie auf
geschichtliche Fakten.
Bewegende Jahre
Merian hatte ja auch einiges zu erzählen - die hundert Jahre seit der
letzten Jubiläumsfeier waren mit die am bewegendsten in der Geschichte
der Universität.
Ausgehend von der Jubelfeier 1760 beginnt Merian mit einer der grössten
Strukturkrisen, die die Universität je erlebte. «Während des vorigen
Jahrhunderts war die Ueberzeugung immer allgemeiner geworden, dass
unsere Universität einer durchgreifenden Umgestaltung bedürfe.» Dieser
Wille sei besonders während den Feierlichkeiten zum
Dreihundertjahrjubiläum hervorgetreten, was er, Merian, noch aus
Berichten von Zeitgenossen wisse. So seien zwar nach der Reformation im
16. Jahrhundert die Statuten der Universität geändert worden, aber
nicht im nötigen Masse. «Die Uebelstände, anfänglich weniger fühlbar,
traten mit der Zeit immer weiter hervor.» Die scharfe Trennung zwischen
der Regenz mit ihrem akademischen Körper und der restlichen
Bürgerschaft habe Veränderungen schwierig gemacht - das Verhältnis
zwischen den beiden Ständen sei von Misstrauen geprägt gewesen. Die
Folge davon: Verbesserungen fanden nicht mehr statt. «Im Wesentlichen
aber blieben, trotz der Mahnung der Zeit, die ganze Einrichtung der
Universität und der von ihr befolgte Studiengang ziemlich dieselben,
wie sie unmittelbar nach der Reformation ihr waren gegeben worden.» Zur
Verschärfung dieser Situation habe die Besetzung der Lehrstellen durch
das Los beigetragen. Dies habe zur «allgemeinen Erschlaffung des
wissenschaftlichen Lebens» geführt und den hoffnungsvollen Talenten
jegliche Aussicht auf eine ihnen gebührende Stellung genommen.
Sehr ausführlich schildert Merian in der Folge das vorderhand
erfolglose Ringen der Universität um bessere Strukturen, schildert den
schleichenden Niedergang des Wissenschaftsbetrieb bis zur französischen
Revolution Ende des 18. Jahrhunderts, schildert brauchbare Ansätze, die
aber entweder von der einen oder von der anderen Seite leider
«missliebig» aufgenommen wurden und wirkungslos blieben. Echte Reformen
waren erst nach der französischen Revolution und nach der Zeit der
Mediation möglich. Es brauchte einen initiativen Bürgermeister wie
Heinrich Wieland, bis Bewegung in die Diskussion um die
Universitäts-Reform kam. Wieland übernahm 1812 den Vorsitz einer
Kommission des Grossen Rates, die bereits 1805 eingesetzt wurde, aber
erst acht Jahre später dem Parlament ein Gesetz zur Verbesserung der
universitären Strukturen vorlegte. Dieser Gesetzesvorschlag, der unter
anderem die Universität als höhere Lehranstalt des Kantons definierte
und damit dem Regierungsrat unterstellte, mündete schliesslich 1818 im
neuen Universitätsgesetz, das in Teilen bis heute Gültigkeit hat.
Merian, der bereits 1820 zum Professor der Uni ernannt wurde, lobt die
Umsetzung des neuen Gesetzes: «Den leitenden Männern der damaligen Zeit
gebührt das Lob, dass sie in der Durchführung mit schonender
Berücksichtigung der bestehenden Verhältnisse, wo es Noth that mit
lobenswerther Energie verfahren sind.»
Erfreuliches Aufblühen
Damit kommt der Rektor in der Jetztzeit an und wendet sich direkt an
sein Publikum in der St. Martinskirche. Detailliert listet er die
verschiedenen Legate und Schenkungen auf, die der Universität in den
vergangenen fünfzig Jahren zugute kamen - und von denen wohl
verschiedene Geber oder deren Nachkommen auch an der Rede anwesend
gewesen sein mussten. Durch die privaten Spenden und das neue Gesetz
erlebte die Universität ein «erfreuliches Aufblühen», das allerdings
durch die Trennungswirren in den 1830er-Jahren einen «harten Stoss»
erlitt. Mit der Trennung in zwei Halbkantone verlor die Universität
einen grossen Teil ihrer Finanzkraft. Das Weiterbestehen der
Institution sei dem Grossen Rat zu verdanken, der «eingedenk der
schönen und ruhmvollen Erinnerungen», die er mit der Anstalt verknüpft,
im Jahr 1835 Ja zu einem revidierten Universitäts-Gesetz und damit Ja
zur Universität gesagt hatte.
Merian weitet seinen Dank vom Grossen Rat auf die gesamte Bürgerschaft
aus. Denn zur Kräftigung eines sich gesund entwickelnden Gemeinwesens,
«ist es erforderlich, dass der einzelne Bürger durch freiwillige
Leistungen das Gedeihen des Ganzen zu fördern trachte». Es ist wohl als
Referenz an all diese freiwilligen Leistungen zu verstehen, wenn der
Rektor in der Folge jeden privaten Verein erwähnt, der sich für die
Universität einsetzte: Von der 1835 gegründeten freiwilligen
akademischen Gesellschaft über die Gesellschaft für «vaterländische
Alterthümer» bis zur «Gartenbaugesellschaft». Merian vergisst niemanden.
Es sei eben ein typisches Merkmal der Basler Universität, dass ihre
Geschichte seit der Gründung «aufs innigste» mit der Geschichte des
Freistaates und der Geschichte der bürgerlichen Familien der Stadt
verbunden sei. Ein Satz, den Professor Eduard Vischer fünfzig Jahre
später an der nächsten Jubelfeier wieder aufnehmen und detailliert
ausarbeiten wird. Wie Merian in der St.Martinskirche wird Vischer im
Münster die Geschichte der Lehrstühle erzählen, die während hundert
Jahren von Vertretern aus der gleichen Sippe besetzt wurden. «Und zwar
zum Nutzen (...) der Universität und der Wissenschaft», wie Merian
sagt. Die enge Verbindung zwischen Bürgerschaft und Universität sei
seit der Gründung der Basler Hochschule von höchster Bedeutung. Auch
wenn die Universität klein sei, so habe sie doch beim Aufbau des
Gebäude menschlichen Wissens das Ihrige beitragen können. Darum sei es
heute wichtiger denn je, den «innigen Verband unserer Anstalt mit dem
allgemeinen Staatsleben» zu pflegen und weiter auszubilden: «Wir stehen
in der Mitte unserer Mitbürger, unter uns und mit ihnen verbunden durch
das unsichtbare Band, welches Alle vereinigt, deren Herz für Hebung der
geistigen Interessen der Menschheit schlägt.»
Sein ganz persönliches Band mit der Geschichte der Universität und
jener der grossen bürgerlichen Geschlechter der Stadt verrät der Rektor
zum Schluss seiner Rede: «Sie verübeln mir vielleicht nicht noch eine
andere Anführung. Der Rector Rudolf Thurneysen erwähnt in seiner
Jubelrede von 1760 des Umstandes, dass Lucas Gernler, der Festredner
von 1660, der Urgrossvater seiner Ehefrau gewesen sei. Thurneysen ist
auch der Urgrossvater der meinigen.»