Das Jubiläum als Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaft

Jubiläen sind historische Ereignisse, die sich ausgezeichnet für Untersuchungen zu Erinnerungskultur eignen. Jubiläen verbildlichen  Regelhaftigkeit und Stabilität einer Gemeinschaft oder Organisation, indem sie deren zeitliche Fortdauer feiern. Sie bieten die Gelegenheit, zentrale Motive der gemeinsamen Geschichte hervorzuheben und wieder zu beleben. Dass jedes Jubilieren in dieser Weise zu einem bestimmten Zweck instrumentalisiert werden und damit ambivalent sein kann, versteht sich von selbst. Jubiläumsfeiern geben, je nach gewähltem Blickwinkel, «Licht und Schatten der historischen Realität» wider. 

Erinnern und Vergessen sind zentrale Motive der gegenwärtigen Kultur- und Geschichtswissenschaft. Von zentralem Forschungsinteresse sind die Wirkungsweise des «kollektiven Gedächtnisses» einer Gesellschaft und die Bedeutung von «Erinnerungskultur». Pierre Noras Werk «Lieux de mémoire», dessen erster Band 1984 erschien und wegweisend für die Debatte um Formen öffentlicher Erinnerungskultur wurde, bezeugt diesen Trend: Das Werk wurde über eine Million Mal alleine in Frankreich verkauft. Den Anfang historischer Studien zu «Erinnerungskultur» machten Untersuchungen zur Geschichte der Denkmalbewegung und zu politischen Festen des 19. Jahrhunderts. Bald ging die Geschichtswissenschaft dazu über, disziplinübergreifend – d.h. unter Einbezug medizinischer, sozialpsychologischer oder kulturwissenschaftlicher Aspekte – das Wesen kultureller Gedächtnisformen zu untersuchen.

Das Jubiläum als Produkt von Erinnerungskultur
Im Kontext dieser Entwicklung erklärt sich das Interesse der Geschichtswissenschaft an historischen Jubiläen, denn sie sind wesentlicher Bestandteil und Erzeugnis von Erinnerungskultur: Sie bezeugen den Willen einer Gemeinschaft, ein als wesentlich und erinnerungswürdig empfundenes Ereignis feierlich zu begehen. Darüber hinaus bringen Jubiläen in vielen Fällen den methodischen Vorteil mit sich, dass überlieferte Quellen wie Festbeschreibungen, Jubiläumsansprachen und -predigten oder Jubiläumsschriften sie ausführlich dokumentieren. Historische Jubiläen stellen «gute Studienobjekte, an denen sich die Probleme der öffentlichen Erinnerungskultur aus der Nähe untersuchen lassen», dar, schreibt Paul Münch in seinem Sammelband zu Historischen Jubiläen. Jubiläen eröffnen einen Einblick in das Selbstbewusstsein der jubilierenden Gesellschaft und in ihre Motivation zur Inszenierung von Geschichte. Ebenso veranschaulichen sie die als richtig oder gar selbstverständlich empfundene Art und Weise, ein Erinnerungsfest zu gestalten. Entsprechend gilt das eigentliche Interesse historischer Untersuchungen, die sich des historischen Jubiläums annehmen, weniger dem erinnerten Ereignis als vielmehr der Erinnerungssituation.

Es stellt sich nicht nur die Frage, was und in welcher Weise gefeiert resp. als jubiläumswürdig empfunden wird, sondern vielmehr, welche Interessen sich hinter der Jubelfeier verbergen, welche Verkürzungen, Verfälschungen und Aneignung von Geschichte vorgenommen werden. Weiter ist über die Bedeutung der Periodisierung von Gedenkanlässen in regelmässigen Abständen von 10, 20, 25, 50 oder 100 Jahren nachzudenken und nach der kulturellen Bedeutung der entsprechenden Segmentierung der Zeit zu fragen. Weitere Kultur- und gesellschaftswissenschaftliche Aspekte machen eine historische Analyse von Jubiläen spannend.

Darüber hinaus gibt es einen weiteren wichtigen Zusammenhang zwischen historischer Forschung und historischen Jubiläen: Anlässlich von runden Geburtstagen haben Institutionen wie Universitäten ihre Geschichte immer wieder neu und unter neuen Gesichtspunkten aufarbeiten lassen. So ist das 1960 von Edgar Bonjour verfasste Werk «Die Universität Basel von ihren Anfängen bis zur Gegenwart 1460-1960» eine umfang- und detailreiche Studie zur Geschichte der Universität Basel, die für viele weitere Forschungen bis heute als verlässliche Quelle herangezogen werden kann.

Jubiläen – ein junges Forschungsfeld
Die Anzahl der historischen Forschungsarbeiten, die sich mit dem historischen Jubiläum als Gegenstand von Erinnerungskultur auseinandersetzen, ist überschaubar, auch wenn Erinnerung und Gedächtnis mittlerweile zu zentralen Motiven der Geschichts-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften geworden sind. Gerade Untersuchungen zur Jubiläumskultur in der Schweiz und in Basel sind noch sehr rar. Wegweisend sind die von den Historikern Winfried Müller und Paul Münch herausgegebenen Sammelbände, die sich der Thematik von verschiedenen Zugängen her nähern. Sie fragen etwa nach der Indienstnahme von Jubiläen durch das Papsttum, die Reformation, Monarchien, frühneuzeitliche Städte oder industrielle Betriebe. Die Bedeutung von Universitätsjubiläen hingegen ist heute noch sehr wenig erforscht.

 

 

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Literatur

  • Becker, Thomas B.: Jubiläen als Orte universitärer Selbstdarstellung. In: Schwinges, Rainer Christoph (Hrsg.): Universität im öffentlichen Raum. Basel 2008. S. 77-107.
  • Cornelissen, Christoph: Was heisst Erinnerungskultur? Begriff, Methoden, Perspektiven. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54 (2003). S. 548-563.
  • Müller, Wienfried (Hrsg.): Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines instiutionellen Mechanismus. Münster 2004.
  • Müller, Winfried: Erinnern an die Gründung. Universitätsjubiläen, Universitätsgeschichte und die Entstehung der Jubiläumskultur in der frühen Neuzeit. In: Wissenschaftsgeschichte 21 (1998), S. 79-102.
  • Münch, Paul (Hrsg.): Jubiläum, Jubiläum. Zur Geschichte privater und öffentlicher Erinnerung. Essen 2005.
  • Winter, Jay: Die Generation der Erinnerung. Reflexionen über den «Memory-Boom» in der zeithistorischen Forschung. In: Werkstatt Geschichte 30 (2001), S. 5-16.