Von der Allgemeinbildung zur Wissenschaft
Die Philosophisch-Historische Fakultät in ihrer heutigen
institutionellen Gestalt gehört zu den jungen Zweigen der Basler
Universität. Ihre Eigenständigkeit erhielt sie erst mit der Trennung
von der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät,
die mit dem neuen Universitätsgesetz von 1937 erfolgte. Der in den
letzten Jahrzehnten erneut gewachsene Fächerkatalog war dabei seiner Form
nach schon im 19. Jahrhundert angelegt und hat seine Wurzeln
in der Gründungszeit der 1460er Jahre.
Die Artistenfakultät als Propädeutikum
Die hauptsächlich vorbereitende Funktion der Artistenfakultät
widerspiegelte sich auch im Abschluss, der hier erworben werden konnte:
Nach erfolgreichem Examen erlangten die «Artisten» nicht den Grad eines
Doktors, sondern nur den eines Magisters. Erst dieser Magister der
freien Künste («Magister artium liberalium») berechtigte zum Studium an
einer der drei anderen Fakultäten.
Neues Selbstbewusstsein und formale Gleichstellung Der propädeutische Charakter blieb der Artistenfakultät lange eigen. Im 17. Jahrhundert bürgerte sich die neue Bezeichnung «Philosophische Fakultät» ein, was auf eine allmähliche Aufwertung der hier gelehrten Wissenschaften deutet. Das neue Selbstverständnis der Fakultät zeigt sich in der Ordnung von 1823: «Die Philosophische Fakultät ist Stellvertreterin allgemein-wissenschaftlicher Bildung auf der Hochschule; diese im Gegensatz einseitiger Berufsbildung zu fördern, ist ihre Aufgabe.» Die völlige Gleichstellung mit den anderen drei Fakultäten brachte erst das Universitätsgesetz von 1838. Die Philosophische Fakultät erhielt nun erstmals ein eigenes Gewicht, indem die hier vermittelte allgemeinwissenschaftliche Bildung einen Ausgleich zur einseitigen Berufsausbildung der Mediziner oder Juristen schaffen sollte. Eine propädeutische Funktion hatten die Professoren der Philosophischen Fakultät allerdings nach wie vor zu erfüllen. Zusätzlich zu ihrem Pensum an der Universität mussten sie von nun an auch als Lehrer am Pädagogium unterrichten, wo sie die obersten Gymnasialklassen auf ihr Studium vorbereiten sollten - eine Doppelbelastung, die zur Folge hatte, dass die Basler Tätigkeit mancher berühmter Professoren nur von kurzer Dauer blieb. Besonderer Belastung waren die Dozenten für alte Sprachen ausgesetzt, die einen grossen Teil ihrer Tätigkeit auf den schulischen Unterricht verwandten. Hinzu kam, dass die zwei Lehrstühle für Gräzistik und Latinistik sich in ihren Fachinhalten erst im 20. Jahrhundert deutlicher trennten. Nicht nur die Lehrbeanspruchung, sondern auch die Kompetenzanforderungen stiessen zuweilen hart an die Grenzen des Möglichen. So wandte auch der wissenschaftlich breit ausgewiesene Otto Ribbeck, der dem Basler Gräzisten und Politiker Wilhelm Vischer 1861 jung auf seinen Lehrstuhl folgte, der Stadt nach nur anderthalbjährigem Aufenthalt den Rücken zu. Basler Stadthumanismus von der Reformation... Die Überbeanspruchung der Dozenten lässt sich nicht leichtfertig auf eine begrenzte Schätzung klassischer Bildung zurückführen. Innerhalb der philosophischen Disziplinen kam den Altertumswissenschaften und hier besonders den Philologien eine Leitstellung zu. Seit den Jahren der Reformation, in denen der Bestand der Universität gefährdet war, wurden die altphilologischen Fächer besonders gefördert.
Deutlich wird dies in einem vom Basler Reformator und
Theologieprofessor Johannes Oekolampad (1482-1531) entworfenen oder
inspirierten Gutachten, dem «Iudicium de schola», das die Ziele der
Universität in deutscher und lateinischer Sprache formulierte und dabei
weitgehend von einem humanistischen Bildungsideal geleitet war. Neben
grammatischen Übungen sollte eine vertiefte Klassikerlektüre zum
Kernbestand des Unterrichts gehören: «Die so griechisch lesen sollend
Demosthenem oder Homerum lesen und nüt dann die besten lerer. [...] Der
hebreisch leser soll die grammatic lesen und allweg etwas uss der bibel
usslegen und dorin die radices erluteren sampt den declinationen und
coniugation.» Humanistischem Geist entsprach auch die Forderung, vor
Beginn eines regulären Studiums über ein bestimmtes Mass an
Lateinkenntnissen zu verfügen.
...bis ins 20. Jahrhundert
Die klassische Philologie behielt auch in den nächsten Jahrhunderten ihren Stellenwert. Im Basel des 19. Jahrhunderts war die Vermittlung der alten Sprachen ein weit verbreitetes Anliegen nicht nur unter den Angehörigen der Universität, sondern auch in den etablierteren Schichten des Bürgertums. Immer wieder bildete der Stadthumanismus einen Mittelpunkt des Basler Kultur- und Gesellschaftslebens. Der 1875 zum Ordinarius für Lateinische Sprache und Literatur gewählte Jakob Achilles Mähly versammelte um sich regelmässig einen Kreis von Freunden, zu denen der Historiker Jacob Burckhardt und der Maler Arnold Böcklin gehörten. Seinem breiten Interesse folgend, trat Mähly auch jenseits der Altphilologie publizistisch in Erscheinung. Unter anderem war er Verfasser eines Lustspiels in Versen, das von der geplanten Errichtung einer eidgenössischen Centraluniversität handelte. Mähly verstand es, von der alten Welt in die eigene Zeit einzugreifen und zugleich das eigene Fach in die Welt zu tragen. Die Bildungswerte der Antike für Stadt und Gesellschaft fruchtbar zu machen, war auch Wunsch der Politik. 1902 trat der Basler Regierungsrat an den Altphilologen Erich Bethe mit der Bitte heran, für ein breiteres Publikum regelmässige Vorlesungen über das klassische Altertum zu halten. Dieser äusserte sich in seinem «Gutachten betreffend öffentliche akademische Vorlesungen über das klassische Altertum» zustimmend. Der Plan scheiterte allerdings daran, dass Bethe sich nur kurze Zeit darauf nach Giessen berufen liess. Auch die neueren Philologien erhielten um die Jahrhundertwende grösseres Gewicht. Während die Anglistik bis anhin ins Pflichtpensum des Professors für romanische Sprachwissenschaft fiel und von diesem nebenbei unterrichtet wurde, berief die Kuratel im Jahr 1900 den Privatdozenten Gustav Binz zum ersten Extraordinarius. Die Slawistik erfuhr erst 1923 eine erste Berücksichtigung, als die Russlandschweizerin Elsa Mahler, die an der Universität Basel ausgebildet worden war, ein Lektorat für Slawische Sprachen erhielt und 1938 zur ersten Ordinaria der Universität Basel befördert wurde. Zunächst bestand das slawische Seminar nur als Unterabteilung des Seminars für Indogermanistische Sprachwissenschaft, wuchs aber so rasch an, dass es 1950 als eigene Institution an den Stapfelberg 7 beim Münsterplatz zog. Bildungspolitische Fruchtbarkeit in den 60er Jahren Die entscheidende Wachstumsphase der Philosophisch-Historischen Fakultät setzte ein knappes Vierteljahrhundert nach der Trennung von den Naturwissenschaften ein. Seit dem Ende der 50er Jahre wurde eine Reihe von Fächern erstmals mit Ordinariaten ausgestattet. Dazu gehören die Soziologie, die Ägyptologie, die Islamwissenschaft, die Italianistik, die Etnologie, die Statistik, die Betriebswirtschaft, die Slawistik, die Volkskunde, die Psychologie, die Ur- und Frühgeschichte sowie die iberoromanische und die nordische Philologie.
Zugleich erhielten die grösseren Sprach- und Literaturwissenschaften
wie auch die
Geschichte und Kunstgeschichte zusätzliche Professuren. Der wesentliche
Teil dieses Ausbaus
fiel in die Zeit des bildungspolitischen Aufbruchs der 60er Jahre. Auf
das starke Wachstum folgte eine Phase der Stabilität, bis in den 80er
Jahren ein erneuter Aufschwung einsetzte, der unter anderem mit den
anhaltend steigenden Studierendenzahlen in der sozialwissenschaftlichen
Abteilung zusammenhängt.
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