Großer Andrang an der Fünfhundertjahrfeier der Universität (Foto: Kurt Wyss)

 

Universität und Bürger

Im Unterschied zu anderen Universitäten, die von Fürsten in einem obrigkeitlichen Akt implantiert wurden, kann man von der Basler Universität sagen, sie verdanke ihre Existenz in besonderer Weise dem Einsatz der Bürger und sei stets eng mit der Stadt verbunden gewesen. Gleiches galt jedoch auch für andere Universitäten, etwa für Köln und Erfurt oder in der Schweiz für die meisten Schwesteruniversitäten. Hier wird, was ein nicht ungewöhnlicher Vorgang ist, aus einem auch anderweitig auftretenden positiven Punkt ein identitäres Alleinstellungsmerkmal gemacht. Bürgerverbundenheit oder Universitätsverbundenheit? Wer ist Objekt, wer Subjekt? Oder sind im Idealfall beide beides?

Der Topos oder Mythos der Basler «Bürgeruniversität» kann auf die besonderen Umstände der Universitätsgründung zurückgreifen. Er betont die Bürgerinitiative und die Bürgerbereitschaft, Betriebsmittel beizusteuern. Edgar Bonjour, Autor der Universitätsgeschichte von 1960, sieht in der Bereitschaft von 1661, das vom Verkauf ins Ausland bedrohte Amerbach'sche Kabinett zu kaufen und der Universität anzuvertrauen, den viel gelobten Basler Bürgersinn: «Durch ein Zusammenwirken von Gelehrten und Magistraten ist dieser schöne Akt staatlichen Mäzenatentums und kulturellen Verantwortungsbewusstseins zustande gekommen, der in der ganzen damaligen Schweiz nicht seinesgleichen hat.»

Ein Jahrhundert danach hatten die Verhältnisse offenbar völlig gedreht. Jetzt nannte man die Universität nicht mehr «Kleinod» der Stadt, jetzt erschien die Universität als etwas Überflüssiges und Unnützes, jetzt sprach man von Volksferne einerseits, von Gleichgültigkeit andererseits, von «Entzweyung der Parteyen» und von «unbegreiflicher Unvertragsamkeit zwischen den Politikern und der im Schlummer versunkenen Universität». Staatsschreiber Isaak Iselin, der in den Wissenschaften «die Seele der bürgerlichen Gesellschaft» sah, regte – allerdings erfolglos – die Einrichtung einer Akademie an, an der in deutscher Sprache allgemeinverständliche Vorträge über Ackerbau, Forstkunde, Färberei, aber auch Moral und Politik gehalten würden.

Ob und in welchem Mass die Stadt ihre Universität schätzte, drückte sich nur bedingt in der Aspiration von Universitätsstellen durch ihre Bürger einerseits und in der Berufung von Baslern auf solche Stellen anderseits aus. Festgehalten wird in der Universitätsgeschichte, wenn auch im Kapitel «Niedergang» und «Verfallserscheinung», dass der Anteil der Basler Professoren im 17./18. Jahrhundert extrem hoch war. Nur ein Beispiel: Die Professur für Hebräisch war von 1588-1732 ohne Unterbruch in den Händen der Familie Buxtorf.

Der hohe, schon von Jakob Bernoulli kritisierte Anteil der Einheimischen im Korps der Professoren – die Verbaslerung, sie wurde auch in der Zeit selbst als Dekadenzsymptom des 18. Jahrhunderts empfunden. Der Stadtrat hatte aber schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Universität nachdrücklich aufgefordert, Basler zu berufen. Beim Jubiläum von 1760 lobte man sich selbst: Der akademische «Mutterschoss» sei derart fruchtbar, dass man nicht nur keine fremden Berufungen brauche, sondern sogar Gelehrte an andere Universitäten abgeben könne. Lange Zeit sah man in Hausberufungen keinen Makel, ganz im Gegenteil, sie waren ein stolzes Indiz dafür, dass man guten Nachwuchs erzeugt hat.

Es gab allerdings auch die andere Seite: Man hielt die Universität zwar in Ehren, es dominierte aber der «Geist des Handels», wie ein Beobachter im ausgehenden 18. Jahrhundert bemerkte. Auf diese Zeit könnte sich das Bonmot beziehen, wonach man den begabtesten der Söhne im eigenen Kontor einsetze und den dümmsten Professor an der Universität werden liess.

Der Theologe Eberhard Vischer, der 1910 die Jubiläumsrede im Münster halten durfte, erlaubte sich, nachdem er zuvor den Zuzug deutscher Gelehrter gewürdigt hatte, den Umstand lobend zu erwähnen, dass weiterhin auch «tüchtige Professoren aus einheimischen Familien» an der Universität tätig seien. Dies sei kein Symptom für einen Rückfall in ältere Zeiten, sondern Zeichen des Bandes, «das auch in Zukunft Bürgerschaft und Universität zu gegenseitigem Gewinne miteinander verbinden möge».

Zu einem wirklich starken Leitgedanken war die Bürgerverbundenheit erst im Laufe des 19. Jahrhunderts geworden. Sie wurde von Zugezogenen speziell wahrgenommen, und die Artikulation dieser Wahrnehmung trug einiges dazu bei, dass das Preislied auf diese Tugend zu einem Leitmotiv wurde. 1851 betonte der Deutsche Christian Friedrich Schönbein in der Verteidigungsschrift gegen die beantragte Abschaffung der Universität zu Gunsten einer Gewerbeschule, das Eigenartige der Basler Alma mater bestehe im Gegensatz zu den deutschen Hochschulen darin, dass sie nicht kastenartig von der Bevölkerung abgeschlossen, sondern in engen Beziehungen zum Gemeinwesen und durch Vereine und Gesellschaften auch in stetem Kontakt mit der Bevölkerung sei.

Mit Bürgersinn war vor allem die Bereitschaft gemeint, über Sammlungen die Universität mit Spenden zu unterstützen. Diese Bereitschaft manifestierte sich in den 1840er Jahren beim Bau des grossen Museums wie bei weiteren Bauten. Anlässlich des Jubiläums von 1860 kam auf diese Weise ein stattlicher Betrag zum Bau einer Sternwarte zusammen. Aus diesem Projekt ging dann 1874 das Bernoullianum hervor, das nicht nur der Astronomie, sondern auch der Physik und der Chemie dienen sollte. Bei der Grundsteinlegung würdigte Ratsherr Prof. Wilhelm Vischer, «dass sich in ächt republikanischer Weise freiwillig Hunderte von Bürgern betheiligt haben. Es wird die Anstalt als eine Schöpfung werkthätigen Bürgersinnes dastehen, wird darum auch von allen Ständen benutzt werden, allen zur Belehrung und zum Heile dienen».

Wenige Jahre später übernahm die Freiwillige Akademische Gesellschaft (FAG) die Hälfte der Baukosten des 1885 eröffneten Vesalianums. Wilhelm His, noch für beide Bereiche, Anatomie und Physiologie, zuständig, frohlocke an der Eröffnungsfeier: «Als ein frisches Glied reiht sich das Vesalianum in den Kranz von jenen baslerischen Institutionen ein, die einem schönen Zusammenwirken von staatlicher Fürsorge und privater Opferwilligkeit ihr Dasein verdankt.» Das Gebäude werde ein «bleibendes Zeichen des in der Bürgerschaft herrschenden Sinnes für Gemeinwohl und für das wissenschaftliche Leben» und kommenden Generationen ein «Vorbilde gleichgesinnten Wirkens» sein. Rund die Hälfte der Baukosten des 1896 eröffneten Bibliotheksgebäudes war wiederum von der FAG beigesteuert worden. Damals wurde die Verbundenheit mit einem grossen Festumzug zum Ausdruck gebracht: quer durch die Stadt vom alten Universitätsviertel auf dem Münsterhügel hinüber zum neuen Universitätsviertel auf dem Petershügel.

Die Feierlichkeiten vom Juni 1939 zur Einweihung des neuen Kollegiengebäudes am Petersplatz gaben erneut Gelegenheit, Volksverbundenheit zu zelebrieren. Die «Freunde der Universität» (Absolventen der Universität und emeritierte Professoren) schenkten der Universität eine goldene Rektoratskette und deuteten diese als Ausdruck dafür, dass Volk und Universität in einem «unlösbaren Bund» zusammenstehen. Auch in der grossen Münsterfeier von 1939 wurde der Topos der Bürgerverbundenheit beschworen. Regierungsrat Fritz Hauser evozierte das Bild der besonderen Zuneigung der Bevölkerung zu ihrer Universität. Der Sozialdemokrat zog es aber vor, statt von Bürger- von Volksverbundenheit zu sprechen. Man sei stolz nicht wegen der Tatsache, dass man die älteste Universität der Schweiz habe, sondern «weil sie aufs Tiefste mit unserem Volksbewusstsein verbunden ist». Weiter führte er aus: «Ich kenne tatsächlich keine Universität – und ich habe viele kennen gelernt –‚ die so im Volke verbunden ist wie unsere Basler Universität. Sie war bei uns nie ein Fremdkörper und hat es auch immer verstanden, ihre Wissenschaft in populärer Form dem Volke bekannt zu geben, wie vor allem auch die Institution der Volkshochschule unendlich viel Segensreiches gewirkt hat.»

Altrektor Frank Vischer kam in einem Aufsatz der 1980er Jahre über die gesellschaftliche Stellung der Universität selbstverständlich auch auf die Bürgerverbundenheit zu sprechen: «Der Gedanke der offenen ‹bürgerlichen Akademie› musste zwangsläufig hinter dem wachsenden Anspruch an die Universität in Forschung und Ausbildung zurücktreten. Aber erloschen ist er nie ganz. Er lebt in mannigfachen Institutionen weiter, in öffentlichen Vortragsreihen, in der Senioren-Universität, in der Möglichkeit jedes Bürgers, den Vorlesungen als Hörer zu folgen, in der mit der Universität engstens verbundenen Volkshochschule, im Dies academicus und dem Rektoratsessen, in Querverbindungen zu gelehrten Gesellschaften, Fachgremien usw. Nach wie vor ist die Universität Basel in weit grösserem Ausmass als andere Universitäten eine zum Bürger hin offene Institution, was von diesem – wenn auch sicherlich nicht immer mit Enthusiasmus – honoriert wird und auch im besonderen sozialen Prestige, das hier ein Professor geniesst, zum Ausdruck gelangt.»

Die enge Verbundenheit von Universität und Stadt wurde naheliegenderweise bei jedem bisher durchgeführten Jubiläum beschworen. Das Jubiläum zum 550jährigen Bestehen ist diesbezüglich allerdings zurückhaltender. Eine nicht näher definierte Öffentlichkeit wird höflich eingeladen, sich für die Universität als Anstalt, die Wissen verbreitet und produziert, zu interessieren. Diese Zurückhaltung erklärt sich auch mit der wohlbegründeten Rücksicht auf die Tatsache, dass der Stadtkanton nicht mehr der alleinige Träger der Universität ist und der Bürgerbegriff in den Ohren der ehemaligen Untertanen – nach über 170 Jahren der Selbstbefreiung – im nun paritätisch mittragenden Kantons Basel-Landschaft noch immer ein Herrenbegriff und darum für sie wenig anschlussfähig ist.

 

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