Ausdifferenzierung und endlich ein zweiter Lehrstuhl
Im Anschluss an die Gründung des Seminars kam es zu Beginn 20. Jahrhundert zu einer Ausdifferenzierung – wie sie allgemein für die Entwicklung der Wissenschaften in diesem Zeitraum charakteristisch war. 1905 wurden vier selbständige Abteilungen bestimmt: «Universalgeschichte», «Schweizer Geschichte», «Neueste Geschichte», «historische Hilfswissenschaften»; 1922 wurde bereits neu in «Proseminar», «Seminar für Universalgeschichte» und «Seminar für Schweizer Geschichte» arrangiert.
Diese institutionelle Vervielfältigung reflektierte, was am Historischen Seminar durchaus Praxis war: Zwar war die Universalgeschichte schon nur deshalb dominant, weil ihr nach wie vor der einzige Lehrstuhl gewidmet war, während alle anderen Gebiete mit Lehraufträgen und Extraordinariaten auskommen mussten. Doch wurde in diesem Rahmen zu den verschiedensten Themen und Gebieten aus allen Epochen, aber auch aus verschiedenen Kulturkreisen gelehrt.
Allerdings war solche Vielfalt wenig verlässlich, solange ihr nicht feste Lehrstühle entsprachen. Überdies wurde nun, im Kontext des zeitgenössischen Dranges zu Spezialisierung, die universalgeschichtliche Perspektive als überholt angesehen. So kam die bereits mehrere Jahrhunderte alte Forderung nach einem zweiten Lehrstuhl wieder auf. 1915 konnte sie endlich mit einer Professur für Geschichte, die mit «mittlere und neuere Geschichte» umschrieben wurde, umgesetzt werden. Erster Lehrstuhlinhaber wurde Hermann Bächtold. 1925 wurde das Extraordinariat von Emil Dürr in eine Professur ad personam umgewandelt. 1937 schliesslich wurde ein dritter ordentlicher Lehrstuhl für das Fach Geschichte geschaffen, als Professur für Alte Geschichte aber in einem eigenen Seminar angesiedelt.
Das Burckhardt’sche Erbe - Ansätze zu Erneuerung und Überwindung
In den 1930er Jahren erschien den Vertretern des Historischen Seminars die Universalgeschichte auf neue Weise als brisant und dringlich: Gerade eine schweizerische Universität sollte den um sich greifenden Nationalismen einen universalgeschichtlichen Blick entgegen halten. Vor diesem Hintergrund regte Hermann Bächtold eine Erneuerung der Universalgeschichte an.
Dabei ging es nicht um eine simple Wiederbelebung der Burckhardt’schen Arbeiten. Vielmehr hatte Bächtold eine eigentliche Historische Anthropologie im Sinn, die nach dem Modell der französischen Annales eine Historisierung der conditio humana anvisierte: Von Geschlechterbeziehungen, über Vergesellschaftungsprozesse, Wirtschaftsformen und staatliches Handeln bis hin zum Tod sollten menschliche Lebensbedingungen, Sinnstiftungsprozesse und Handlungsweisen studiert werden.
Auf eine andere Weise knüpfte auch Emil Dürr an eine Burckhardt’sche Tradition an, wenn er sich um eine Verbindung von sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekten mit der politischen Geschichte bemühte. Auf eigenständige Weise befreite er aus dieser Perspektive die Geschichte der mittelalterlichen Schweiz von der liberalen Nationalgeschichtsschreibung und gehörte damit zu jenen, die Neuinterpretationen der Schweizer Geschichte vorbereiteten.
Als es 1934 aufgrund von Todesfällen beider Lehrstuhlinhaber zu einer Doppelvakanz kam, war der Bächtold’schen Programmatik ein abruptes Ende gesetzt. Doch mit dem 1935 auf den neu benannten Lehrstuhl für «Mittlere und Neuere Geschichte» berufenen Werner Kaegi riss immerhin der kulturgeschichtliche Traditionsfaden nicht ab. Mit ihm war die Humanismusforschung intensiv präsent - international wahrgenommen und zugleich in der Figur Jacob Burckhardts auf die eigene, lokale Historiographiegeschichte bezogen.
Die Aufbrüche in der Schweizer Geschichte ihrerseits fanden eine Fortsetzung, als 1935 Edgar Bonjour den nun neu benannten Lehrstuhl für «Neuere Allgemeine und Schweizergeschichte» einnahm. Auf dieser Position schuf Bonjour seine umfassende Geschichte der schweizerischen Neutralität. In diesem Kontext und auch im Anschluss an Dürr sollte das Historische Seminar zu einem Impulsgeber einer neu ausgerichteten politischen Geschichte der Schweiz werden, die auch in eine Neubewertung der schweizerischen Geschichtskultur münden sollte.
Ein gewachsenes Seminar wendet sich Wirtschaft und Gesellschaft zu
In den folgenden Jahrzehnten verzeichnete das Historische Seminar im Einklang mit der internationalen Entwicklung ein eindrückliches Wachstum. Hatten 1887 noch durchschnittlich 3-5 Studierende an einer Veranstaltung teilgenommen, so waren es 1934 15 und 1969 bis hin zu 300. Von 1935 bis 1969 stieg die Zahl der Hauptfachstudierenden von 48 auf 450.
Auf dieses Wachstum reagierte das Historische Seminar mit der Einrichtung eines Mittelbaus sowie mit einer Verdoppelung der Lehrstühle. Zwischen 1968 und 1972 kam es zu einer eigentlichen Berufungswelle, die den internationalen Aufbrüchen und nachhaltigen Neuorientierungen in der Geschichtswissenschaft korrespondierte. In neuer Besetzung partizipierte das Historische Seminar an der zeitgenössischen Hinwendung zu Gesellschaft und Wirtschaft – die zugleich auf ganz verschiedene Weisen an gepflegte ebenso wie an unterbrochene Basler Traditionen anknüpfte.
Markus Mattmüller rezipierte konsequent die besonders im Kreis der französischen Annales-Schule respektive nunmehr der Nouvelle Histoire aufgeworfenen Methoden und Fragestellungen, gab vielfältige Impulse für die historische Demografie, Agrargeschichte und die Geschichte der Arbeiterbewegung und wurde so gemeinsam mit Rudolf Braun in Zürich und Erich Gruner in Bern zu einem Pionier der deutschschweizerischen Sozialgeschichte. Hans Rudolf Guggisberg brachte in dieses Feld die anglo-amerikanische Perspektive ein, pflegte die Basler Aufmerksamkeit für Reformation und Humanismus, richtete den Blick aber auch auf die USA und Spanien. Mit Herbert Lüthy kam ein international renommierter Wirtschaftshistoriker nach Basel, der sich überdies pointiert zu zeitgeschichtlichen Fragen und den Zustand der Schweiz äusserte. František Graus vollzog eine methodische Erneuerung der Mediävistik, die er für mentalitäts- und sozialgeschichtliche Fragen öffnete.
Diese sozialgeschichtliche Wende war zum einen aus interdisziplinären Impulsen gespiesen. Mit ihrem Interesse an wirtschaftlichen Bedingungen, sozialen Gruppen und politischen Minderheiten reflektierte sie zum andern die zeitgenössischen sozialen und emanzipatorischen Bewegungen. Damit löste sie ihrerseits politische Reaktionen aus. Von bürgerlicher Seite wurde dem Seminar «Linkslastigkeit» vorgeworfen. 1982 besetzte die politische Behörde in Umgehung der universitären Gremien den frei gewordenen Lehrstuhl Lüthys mit dem ihr genehmen Kurt Wehrle. Nach lange anhaltenden Konflikten wurde dieser schliesslich 1990 aus dem Seminar in ein eigenes Institut ausgegliedert.