Das Universitätsgesetz von 1919 sah die
neugeschaffene Stelle eines Universitätssekretärs vor, der die
allgemeine Verwaltung, das Sekretariat der Kuratel und, wenn möglich,
die Kassiergeschäfte besorgen sollte.
Wenige Wochen nach der Verabschiedung des Gesetzes schlug das
Erziehungsdepartement der Universität die Ausschreibung der Stelle vor.
Der Bewerber sollte das Schweizer Bürgerrecht besitzen und über eine
gründliche Allgemeinbildung verfügen. Sowohl Kuratel als auch
Erziehungsrat waren im Vorfeld der Verhandlungen des Gesetzes der
Ansicht gewesen, die unbestritten höchst notwendige neue Stelle mit
einem «akademisch gebildeten Mann, wenn möglich einem Juristen oder
Philologen» zu besetzen, der die Universität und ihre Organe auch nach
aussen vertreten könne.
Der Widerstand gegen das neue Amt
Auf Seiten der Universität bestanden aber offenbar andere
Vorstellungen.
Zunächst informierte Rektor Jakob Wackernagel den
Erziehungsrat, «dass es mit der
Ausschreibung keine Eile» habe, dann beschloss der Regenzausschuss,
«dass eine Ausschreibung im gegenwärtigen Moment unmöglich erfolgen
kann». Die Universität benötige Zeit, sich über eine Amtsordnung für den
neuen Sekretär zu verständigen, zudem müsse man mit der Handwerkerbank
sprechen, an welche die Universität in Sachen der Quästur vertraglich
gebunden sei.
Rasch wurde deutlich, dass Regenz und Rektorat vor allem die Verbindung
der neuen Stelle mit dem Amt des Sekretärs der Kuratel ein Dorn im Auge
war. Offenbar ging es dabei nicht zuletzt um den eigenen
Einflussbereich, denn der dem Rektorat unterstellte Sekretär hätte als
Sekretär der Kuratel Einblick in alle Geschäfte gehabt. Nachvollziehbar
ist die Sorge, dass er so Kenntnis über die Beurteilung seiner
Vorgesetzten durch die Kuratel erhielt, was dem gegenseitigen
Vertrauensverhältnis abträglich sei. Das eigentliche Motiv der
ablehnenden Einschätzung kann man aber einer Stellungnahme der Regenz an
den Erziehungsrat vom 29. Dezember 1919 entnehmen. Darin führte diese
zunächst aus, es gehe nicht an, dass der Sekretär «über Massnahmen in
Betreff unserer Anstalt möglicherweise besser unterrichtet ist als der
ihm vorgesetzte Rektor», um dann anzufügen, die Entkopplung der
Funktionen habe den Vorteil, dass der Amtsträger dann «nicht notwendig
im Besitze akademischer Bildung» sein müsse. Ganz offensichtlich war ein
akademischer Mitarbeiter unerwünscht, betonte man doch: «Wir brauchen
nicht einen Mann, der etwa einmal Gutachten oder eine Ordnung entwirft –
dazu sind wir selbst da – sondern jemand, der sich auf den laufenden
Schreib- und Kassendienst versteht». Daher würden gute Schulbildung und
kaufmännische Kenntnisse genügen. Einen Juristen als Sekretär – so die
Regenz - wisse man nicht genügend zu beschäftigen und er bekäme – dies
das zentrale Argument – «auch leicht ein unliebsames Übergewicht über
die jährlich wechselnden Rektoren».
Trotz dieser «Abstufung» wollte die Universität die neue Stelle zur vom
Gesetz vorgeschriebenen Besoldungsklasse ausschreiben, ein Vorhaben, das
bei Kuratel und Erziehungsrat auf Ablehnung stiess. Zwar stimmte man
der Neubewertung der Stelle durch die Universität zu, verlangte aber die
entsprechende Konsequenz, nämlich eine deutlich geringere Einstufung.
Hörbar ungehalten verwies Regierungsrat Fritz Hauser gegenüber dem
Erziehungsrat auf den Sinneswandel der Universität, hatte die Regenz
doch im Zuge der Gesetzesberatungen dem Grossen Rat explizit mitgeteilt,
man bedürfe für die neue Stelle eines Mannes, «der sowohl gymnasial-
als banktechnisch gebildet» sei. Als einzigen Ausweg sah er die
provisorische Besetzung der Stelle, vielleicht in der Hoffnung, die
Universität werde später ihre Einschätzung überprüfen.
Der erste Sekretär der Universität: Jakob Bollli
Im März 1920 entschied sich die Regenz für den damals gerade 27jährigen
Jakob Bolli, der seit 1910 bei der Kreispostdirektion gearbeitet hatte.
Am 3. April 1893 in Beringen (SH) geboren, wuchs Bolli in Riehen auf,
absolvierte in Basel die Realschule und besuchte anschliessend ein Jahr
die Höhere Handelsschule in Neuchâtel. Den Ausschlag für seine Wahl
gaben seine guten Sprachkenntnisse. Er erfüllte damit die Anforderungen
der Universität, einen kaufmännisch versierten Unterbeamten zu gewinnen.
Die besondere Betonung seiner Französischkenntnisse lässt aber auch
erahnen, dass die ursprünglich angedachte akademische Stellenbesetzung
sachlich vielleicht doch näher gelegen hätte. Hinzu kamen offenbar
weitere Faktoren, welche den fünf mit der Auswahl bestellten Professoren
wichtig waren. Dazu zählten Fragen zum Privatleben ebenso wie solche
zur militärischen Stellung. Bezeichnenderweise war der Rektor des Jahres
1920 sein ehemaliger Bataillonskommandant.
Bolli trat seine provisorische Stelle zum 12. April 1920 an, obwohl der
definitive Entscheid der Kuratel erst im Juni erfolgte. Ein Jahr später
wurde er defintiv angestellt, allerdings auf Antrag der Finanzkontrolle
unter Abstufung der 1920 provisorisch bewilligten Besoldungsklasse. Die
Argumentation der Universität, dass «sich die Anstellung eines
subalternen Beamten als Sekretär» bewährt habe, nahm das
Finanzdepartement offenbar zum willkommenen Anlass, ihn wie die übrigen
administrativen Hilfskräfte des Rektors einzureihen. Daraus entspann
sich für Universität und Erziehungsdepartement ein jahrelanges
Verhandeln um die Entlöhnung Bollis, der seine vorherige Stelle unter
Zusage einer adäquaten Besoldungsklasse aufgegeben hatte. Immer wieder
mussten Sonderkonstruktionen gefunden werden, um die Entlöhnung
anzuheben, da das Erziehungsdepartement aus taktischen Gründen die
Formulierung im Universitätsgesetz (akademischer Mitarbeiter) nicht
anpassen wollte. Eine sachgerechte Einreihung Bollis konnte erst 1926
gesichert werden. Mit der Revision des Universitätsgesetzes von 1928
wurde er dann beinahe so eingestuft wie ein akademischer Mitarbeiter.
«Guter Geist» und «ruhender Pol»
Dies verweist auf die Bedeutung, welcher der Stelle des
Universitätssekretärs im Laufe der Zeit zukam. Rasch arbeitete sich
Bolli in seine neue Aufgabe ein und wurde zu einem unverzichtbaren
Mitarbeiter der Rektors. Da dieser jährlich wechselte, verkörperte er
eben doch mit den Jahren immer mehr die personelle und administrative
Kontinuität der universitären Verwaltung. Als guter Geist wirkte er in
der Regel im Hintergrund, konnte aber in entscheidenen Momenten mit
seiner langjährigen Kenntnis der universitären Geschäfte gewichtigen
Einfluss nehmen. 1943 beschrieb ihn die Kuratel als «ruhenden Pol» im
Reigen der wechselnden Rektoren. Er allein sei «über alles orientiert,
auch über das, was nirgends notiert und registriert ist, neben vielem
anderen ein lebendes Archiv und ein lebendes Protokoll». Dies habe zur
Folge, «dass er immer wieder befragt werden, immer wieder mitraten und
helfen muss».
Neben den Aufgaben des Sekretärs versah Bolli ab 1920 auch das Amt des Archivars
der Universität, eine Arbeit die er aber neben seinen Hauptaufgaben
nur sehr begrenzt wahrnehmen konnte. Zudem wirkte er als
Protokollführer diverser Universitätskommissionen. Wichtiger war sein
Nebenamt als Sekretär der 1921 ins Leben gerufenen Volkshochschulkurse.
Hier fand er ein eigentliches Betätigungsfeld in der Betreuung der
Kursteilnehmer sowie als Organisator und Begleiter von Exkursionen. Nach
dem Zweiten Weltkrieg engagierte sich Bolli besonders bei der Betreuung
ausländischer Studierender, die ihr Studium in Basel aufnahmen oder
fortsetzten, darunter nicht wenige Badener oder Elsässer aus der
Nachbarschaft. Für sie organisierte Bolli Ferienlager in Engelberg und
stand ihnen vielfach beratend zur Seite. Auch sonst hatte er für
studentische Anliegen ein offenes Ohr. Von 1926 bis 1956 war er zudem
Mitglied im Vorstand der Studentenschaft, der er die Kasse führte.
Permanente Überbelastung
Zur Erfüllung seiner Aufgaben leistete Jakob Bolli – ganz Angestellter
alter Schule und der Universität loyal ergeben - ungezählte Überstunden
und verzichtete in nicht wenigen Jahren auch auf einen Teil seiner
Ferien. Gelegentlich wurde dies durch 4wöchige Jahresferien kompensiert,
die ihm unter Verweis auf die Überstunden gewährt wurden. Bescheiden
war auch die Entlöhnung als Volkshochschulsekretär. Stets sollten
notwendige Verwaltungsaufgaben mit einem Minimum an Personal erledigt
werden, was dazu führte, dass der gesamte Verwaltungsapparat der
Universität in Bollis Amtszeit chronisch unterbesetzt war. Seine
Personalakte (StABS, ED-REG 1a 1 147) ist ein beredtes Zeugnis des
jahrzehntelangen Ringens um eine angemessene Entlöhnung aller Aufgaben,
welche den Behörden stets aufs Neue abgerungen werden musste, aber auch
der durch die permanente Überbelastung hervorgerufenen gesundheitlichen
Probleme.
In den 1930er Jahren war Bolli wesentlich an den Vorarbeiten zum Neubau
des Kollegiengebäudes am Petersplatz beteiligt, ebenso am Umzug aus
dem alten Domizil am Rheinsprung im Jahre 1939. Die Feierlichkeiten
der Übergabe zählten zu einer der Höhepunkte seiner beruflichen
Laufbahn. Ein zweiter sollte nach seiner Pensionierung im Jahre 1958
folgen, als Bolli trotz seiner angegriffenen Gesundheit das Amt des
Generalsekretärs der 500-Jahrfeier
der Universität Basel 1960 übernahm, wo er seine in langjähriger
Berufserfahrung erworbenen Kenntnisse und personellen Beziehungen
einbringen konnte. In den letzten Monaten vor den
Jubiläumsfeierlichkeiten im Juni 1960 glich das Arbeitspensum praktisch
einer vollen Stelle. Auch die Abwickelung beanspruchte ihn bis in den
Herbst 1960. Erst dann beendete Jakob Bolli seine langjährige Arbeit für
die Universität Basel. Ein erfüllter Ruhestand war ihm nicht vergönnt.
Er starb am 14. November 1962 wenige Monate vor seinem 70. Geburtstag.