© Marion Dönhoff StiftungUniversitätsbibliothek Basel, Sign. NL 114, Fa 2024

 

«Lieber Professor, lieber Freund»: Die ZEIT-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff und das Studium bei Edgar Salin  

Unter den Doktoranden Salins war wohl Marion Dönhoff (1909-2002) die prominenteste und aussergewöhnlichste Persönlichkeit. Die spätere Journalistin, Chefredaktorin und Herausgeberin der ZEIT promovierte 1935 als erste Frau bei Edgar Salin in Basel. Weit über die Basler Zeit hinaus pflegte die Gräfin einen regen geistigen Austausch mit ihrem ehemaligen Professor. Ihr eindrückliches Engagement für Toleranz und Versöhnung, ihr Aufruf zum Widerstand gegen menschenfeindliche Autoritäten und ihr Einstehen für einen sozial verträglichen Kapitalismus könnten nicht zuletzt auch vom Studium beim humanistischen Ökonomen Salin beeinflusst gewesen sein. 

Die Tochter einer ostpreussischen Adelsfamilie wuchs auf Schloss Friedrichstein in Königsberg auf. Nach dem Abitur 1928 in Potsdam und ausgedehnten Reisen in Europa, Afrika und den USA schrieb sich Dönhoff für ein Studium der Nationalökonomie an der Universität in Königsberg ein. Im Wintersemester 1930/31 wechselte sie an die Universität Basel, wo sie bei Edgar Salin Veranstaltungen besuchte. Salin war mit der Familie Dönhoff schon länger bekannt, da er in ihrem Auftrag Gutachten über die Friedrichsteiner Güter verfasst hatte. Dönhoff blieb vorerst nur für ein Semester in Basel, ehe sie ihr Studium in Königsberg und Frankfurt fortsetzte. Obwohl Salin sie zu einem Promotionsstudium in Basel ermunterte, wollte Dönhoff aufgrund der politischen Lage vorerst in Deutschland bleiben. In Frankfurt besuchte sie die Veranstaltungen von Ernst Kantorowicz, den sie vermutlich über Salin und das George-Netzwerk persönlich kannte. Auch Kantorowicz′ letzter Vorlesung wohnte sie bei, in der er vor der Macht der Nationalsozialisten warnte und die Idee eines «Geheimen Deutschlands» skizzierte - eine Anspielung auf den George-Kreis. Die Rede Kantorowicz’ hinterliess einen tiefen Eindruck auf Dönhoff und der Widerstand gegen den Faschismus wurde ihr ein zentrales Anliegen. Während der NS-Diktatur pflegte sie Kontakte zur adeligen Opposition, insbesondere mit den Akteuren des Attentates auf Hitler am 20. Juli 1944. Später erinnerte Dönhoff in zahlreichen engagierten ZEIT-Artikeln, Reden und Büchern an die Wichtigkeit des Widerstands gegen unmenschliche Autoritäten. 

Auf der «Spur zum eigenen Selbst» - Dissertation über die Familiengüter

Auch an der Universität Frankfurt setzte sich Dönhoff öffentlich - mittels Reden und Flugblättern - gegen die nationalsozialistische Propaganda zur Wehr. Nach der Machtergreifung Hitlers verliessen zahlreiche Professoren die Universität, unter ihnen auch Kantorowicz. Dönhoff legte 1933 das Diplom zur Volkswirtin ab und wechselte nun doch für ihre Promotion nach Basel. Anfänglich beabsichtigte sie eine Arbeit über Karl Marx zu verfassen, doch Salin überredete sie zu einer wirtschaftshistorischen Studie über die Friedrichsteiner Güter. Vorerst musste Dönhoff dazu das umfangreiche Quellenmaterial in den Friedrichsteiner Archiven ordnen und auswerten, was zwar eine zeitaufwändige, aber gründliche Methode war, sich mit der eigenen Familiengeschichte zu befassen und sich auf die Verwaltung der Güter vorzubereiten. Die Dissertation, die 1935 veröffentlich wurde, machte aber auch einen wichtigen Teil dessen aus, was der Familie von Schloss Friedrichstein noch blieb, nachdem es 1945 von der Roten Armee zerstört worden war. Nach Abschluss des Studiums arbeitete Dönhoff in der Redaktion der frisch gegründeten Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT, 1955 übernahm sie das Ressort Politik und die stellvertretende Chefredaktion. 1968 wurde sie schliesslich Chefredakteurin, von Ende 1972 bis zu ihrem Tod war sie Herausgeberin der ZEIT. Dönhoff prägte den politischen Journalismus mit ihren engagierten Positionierungen, etwa mit dem Aufruf zum Dialog im Kalten Krieg oder den Forderungen nach einer demokratischen Neuordnung Europas und der Besinnung auf humanistische Werte. 

«... die mir im Grunde verhasste und saturierte Schweiz» 

Dass eine herausragende Persönlichkeit wie Marion Dönhoff ausgerechnet in Basel promoviert hat, hat verschiedene Gründe. Vermutlich spielte die Freundschaft Salins mit der Familie Dönhoff die zentrale Rolle bei der Entscheidung Dönhoffs, im Wintersemester 1930/31 in Basel zu studieren, aber auch Salins Persönlichkeit und sein humanistisches Verständnis von Wissenschaft. In Basel muss es Dönhoff aber oft eng und langweilig vorgekommen sein; in einem Brief an Salin gesteht sie, die Schweiz sei ihr «im Grunde verhasst und saturiert.» Auch fühlte sie sich einsam. Dass sie als erste und für längere Zeit einzige Frau bei Salin promovierte, verstärkte den unwirtlichen Eindruck, den Dönhoff gehabt haben musste. Wahrscheinlich stand sie vor allem mit Salin und seiner Familie in engerem Kontakt sowie mit Kommilitonen, die sie bereits aus der Studienzeit in Königsberg und Frankfurt kannte und die sich in einem ähnlichen gesellschaftlichen Umfeld bewegten wie sie. Dönhoff verfolgte die politische Lage in Deutschland mit grossem Interesse - aber auch mit wachsendem Unbehagen - und wollte so nahe wie möglich am Zeitgeschehen sein. Dass sie deshalb bereits nach einem Semester von Basel an die Universität Frankfurt wechselte und Deutschland erst wieder verliess, als sie sich nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten dazu gezwungen sah, ist wenig verwunderlich. 

Obwohl Dönhoff keine leidenschaftliche Wirtschaftsstudentin gewesen war, sondern im Gegenteil meinte, dass ihr durch das Studium die Freude sowohl an der theoretischen wie der praktischen Ökonomie vergangen sei, war die Studienzeit bei Salin für sie von besonderer Bedeutung. Im Laufe der Zeit hatte Dönhoff eine gewisse Leidenschaft für die Arbeit an ihrer Dissertation entwtickelt und sie sprach davon, dass sie das wissenschaftliche Arbeiten mehr ausfüllen würde als etwa die Verwaltungsarbeit auf Friedrichstein. Mit Salin pflegte sie bis zu seinem Tod einen regen Briefaustausch; wann immer es sich ergab, statteten sie sich Besuche ab. Die Studienzeit in Basel erschien ihr im Nachhinein wie ein «nicht zu Ende gesprochener Satz» (UB Basel, NL 114, Fa 2024), womit sie vielleicht auf den unerfüllten Wunsch nach einer wissenschaftlichen Laufbahn an der Universität Basel anspielte. Das Ende des unfertigen Satzes kann aber auch in Dönhoffs Einstehen gegen eine Entgrenzung des Kapitalismus gesehen werden, so etwa in einem Vortrag im Rahmen der «Basler Denkanstösse» vom Februar 1999. Ihr Anprangern der masslossen Bereicherung Einzelner auf Kosten der Allgemeinheit steht jedenfalls ganz in der Tradition der Basler Nationalökonomie, wie sie Edgar Salin geprägt hat. 

 

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Quellen

  • Universitätsbibliothek Basel, Nachlass Edgar Salins: NL 114.
  • Dönhoff, Marion: Was mir wichtig war. Letzte Aufzeichnungen und Gespräche. Herausgegeben von Theo Sommer und Haug von Kuenheim. Berlin 2002. 

Literatur

  • Harprecht, Klaus: Die Gräfin - Marion Dönhoff. Eine Biographie. Reinbek 2008.
  • Vencato, Mario Ottorino: Marion Dönhoff, die Universität Basel und Europa. Sonderausstellung im Museum Kleines Klingental 20.11.-23.12.2009, Vernissageansprache des Ausstellungskurators. In: Jahresbericht Stiftung pro Klingentalmuseum, Basel 2009.  

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