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Schwieriger Aufbau: Die Wirtschaftswissenschaften im 19. Jahrhundert
Die Wirtschaftswissenschaften gehören in Basel zu
den Fächern mittleren Alters, nicht so alt wie die
Rechtswissenschaften, die Theologie, die Medizin oder die meisten
geisteswissenschaftlichen Fächer, aber um einiges älter als die neueren
Sozialwissenschaften. Der erste wirtschaftswissenschaftliche Lehrstuhl
wurde 1855 eingerichtet und war der «Nationalökonomie und Statistik»
gewidmet.
Die ersten Jahre des Fachs waren von häufigen Lehrstuhlwechseln geprägt.
In den meisten deutschen und schweizerischen Universitäten, so etwa in
Bern, Lausanne und Fribourg, entwickelte sich die Nationalökonomie als
Teil der juristischen Fakultät. Nicht so in Basel. Hier konnte sich die
Juristische Fakultät Mitte des 19. Jahrhunderts nicht recht für das
neue Fach begeistern. Der neue Lehrstuhl wurde deshalb der
Philosophischen Fakultät zugesprochen. Gegenüber den älteren Fächern
wie der Philosophie oder der Geschichte, die beide schon seit mehreren
Jahrhunderten in Basel gelehrt wurden, blieb die Nationalökonomie
innerhalb der Philosophischen Fakultät lange Zeit ein wenig beachtetes
Sondergebiet. Dies sollte für die nächsten eineinhalb Jahrhunderte
trotz mehrerer Reformversuche so bleiben. Zwar wurden 1905 und erneut
in den 1920er Jahren die Verschiebung der Wirtschaftswissenschaften in
die Juristische Fakultät diskutiert. Doch wehrten sich die Juristen
beide Male erfolgreich gegen das Unterfangen. Die Rechtswissenschaften
konnten sich mit dem methodischen und theoretischen Profil der Ökonomie
nicht anfreunden und torpedierten auch eine stärkere Berücksichtigung
der Wirtschaftswissenschaften als Teil des juristischen Curriculums.
Ebenso scheiterte in den 1920er Jahren der Plan, die Nationalökonomie
zum Kern einer neuen «staatswissenschaftlichen» Fakultät zu machen. Die
Universität konnte die dafür notwendigen Zusatzmittel nicht
bereitstellen. So blieb die Nationalökonomie im Universitätsstudium bis
zum Ersten Weltkrieg marginal. In der Philosophischen Fakultät wurde
sie kaum beachtet, und auch seitens der Rechtswissenschaftlichen
Fakultät kam ihr keine externe Unterstützung zu.
Wirtschaftswissenschaftliche Veranstaltungen waren im Jurastudium weder
Pflichtfach noch Prüfungsfach.
Schwierige Anfänge
So standen die ersten Jahrzehnte der Fachgeschichte unter keinem
guten Stern. Die Probleme begannen bereits im Vorfeld der ersten
Berufung. Die Nationalökonomie wurde von der älteren,
traditionsorientierten Professorenschaft grossteils abgelehnt. Auf
Verständnis traf das Fach am ehesten unter jüngeren Ordinarien. Hinzu
kam, dass die Erwartungen an den zukünftigen Lehrstuhlinhaber hoch
gesteckt waren. Er sollte sich nicht nur akademisch ausweisen, sondern
geeignet sein, das Fach einer breiteren, städtischen Öffentlichkeit zu
vermitteln. Konkret war eine Lehrtätigkeit an der Basler Gewerbeschule
vorgesehen und eine rege öffentliche Vortragstätigkeit erwartet. Dieser
Anspruch, die Wirtschaftswissenschaften nicht nur akademisch zu
betreiben, sondern sie auch dem Basler Wirtschafts- und
Bildungsbürgertum nahe zu bringen, blieb bis weit ins 20. Jahrhundert
hinein eng mit den akademischen Lehre verbunden. Die Kuratel - immerhin
ein akademisch dominiertes Gremium - lobte denn auch den 1855 berufenen
Kandidaten, den Bonner Nationalökonomen Erwin Nasse (1829-1890), dafür,
dass er kein Interesse zeige an «theoretischen Übertreibungen,
Luftgebilden und Verkehrtheiten». Das neue Fach stiess unter den Basler
Studierenden jedoch auf wenig Interesse. Für die erste Vorlesung des
frischberufenen Nasse schrieb sich ein einziger Student ein.
Offensichtlich enttäuscht über die Perspektiven in Basel ging Nasse,
der später zum Mitbegründer und Vorsitzenden des «Vereins für
Socialpolitik» avancierte, bereits nach einem Semester zurück nach
Deutschland und folgte einem Ruf an die Universität Rostock.
Die strukturellen Probleme der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre
blieben über Jahrzehnte bestehen und machten den Basler Lehrstuhl für
Nationalökonomie zu einer Art Durchlauferhitzer. Hier profilierten sich
primär jüngere, deutsche Professoren (der erste Schweizer wurde erst
1942 berufen; auf eine ordentliche Professorin warten die Basler
Wirtschaftswissenschaften bis heute) am Anfang ihrer Karriere, um sich
für eine bessere Stelle zu empfehlen und Basel möglichst schnell wieder
zu verlassen. Nach dem Weggang Nasses blieb die Stelle zunächst acht
Jahre vakant. Danach wurden über einen Zeitraum von dreieinhalb
Jahrzehnten (1864 bis 1899) nicht weniger als acht Nationalökonomen
berufen, die den Lehrstuhl meist nach zwei bis drei Jahren wieder
verliessen.
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Suche
Quellen
- Bombach, Gottfried, Basel und die Entwicklung der Nationalökonomie
an den Hochschulen der Schweiz. WWZ-Studien, Nr. 14, Oktober 1989.
- Bombach, Gottfried, Vom Staatswissenschaftlichen Seminar zum WWZ.
In: uni nova Nr. 50/1988 – Mai. S. 4-5.
- Braune-Krickau, Michael, WWZ news vom 31. Januar 2008. S. 3.
- Frey, René L., Neue Organisation und neue Aufgaben der Basler
Wirtschaftswissenschaften. In: uni nova Nr. 50/1988 – Mai. S. 7-8.
- WWZ, Das Wirtschaftswissenschaftliche Zentrum der Universität
Basel. Basel: WWZ, 1995.
- Basler Zeitung. Nr. 55 vom 6. März 1999.
- uni nova Nr. 50/1988.
Literatur
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