Tropenmedizin am Schweizerischen Tropeninstitut

Die Tropenmedizin konnte sich in der Schweiz von 1945 nicht auf eine längere Tradition stützen, sondern musste sich als Wissenschaft in gewisser Weise neu erfinden. Zwar waren ursprünglich einzelne «Tropenkrankheiten» wie die Malaria auch in der Schweiz heimisch, doch sind die meisten dieser Krankheitsherde gegen Ende des 19. Jahrhundert durch umfangreiche Sanierungsarbeiten und einer allgemeinen Verbesserung der hygienischen Bedingungen verschwunden.

Anders als der anthropologische Diskurs eines Festhaltenwollens dessen, was durch die Ausbreitung der eigenen Zivilisation zu verschwinden drohte, war der tropenmedizinische Diskurs stark geprägt von der Angst, dass zurückkommt, was man dereinst aus der Schweiz vertrieben hatte. Das Ende des Zweiten Weltkriegs und das Gefühl einer verstärkten globalen Vernetzung bildete die argumentative Basis bei all jenen, die im Rahmen des neu gegründeten Instituts über Tropenmedizin nachdachten.

Tropenmedizin im Kontext von Dekolonialisierung und Globalisierung
Das Ende des Krieges und der Prozess der kommenden Dekolonisation hatten der globalen Zirkulation von Menschen und Waren zu neuem Aufschwung verholfen. Ehemalige Kolonialgebiete kamen nun für die Schweiz plötzlich als neue Absatzmärkte in Betracht und umgekehrt rechnete man auch mit einem Zustrom an Menschen, die aus diesen Gebieten nach Europa zurückkehrten. Diese Mobilität hatte auch etwas Beunruhigendes. Denn die Chance, dass mit und im Reisegepäck auch kleinste Krankheitserreger in die Schweiz eingeschleppt wurden, und verheerende Folgen anrichteten, war nicht unerheblich. Diese Sorge hatte zur Gründung der Tropenklinik geführt, mit der sich die Hoffnung verband, ehemalige Kolonialbeamte in der Basel gesund zu pflegen, bevor man sie zur Kur in die Berge weiterleitete. Die medizinische Seite des Tropeninstituts wurde nicht von eigentlichen Tropenmedizinern an die Hand genommen. Sie wurde von Männern praktiziert, die zu einem grossen Teil eine gewisse Affinität zur Sozialmedizin an den Tag legten und denen die Verbesserung der sozialen Missstände ebenso wichtig erschien wie die Bekämpfung einzelner Krankheitssymptome.

Diese Charaktereigenschaft lohnt sich hier zu betonen, denn die Geschichte einzelner Tropenkrankheiten hat gezeigt, dass die Behebung sozialer, politischer und ökonomischer Missstände als Folge finanzieller und politischer Erwägungen immer stärker einer blossen Bekämpfung des Krankheitsüberträger wich. Ein bedeutender «Tropenmediziner» war der aus Siebenbürgen stammende Bakteriologe Josef Tomcsik, der im Zweiten Weltkrieg auf den Lehrstuhl für Hygiene an der Universität Basel berufen wurde und der sich zuvor als Leiter des Pathologischen Instituts der Rockefeller-Universität in Peking verdient gemacht hatte. Einen ähnlichen wissenschaftlichen Hintergrund wie Tomcsik hatte auch Hermann Mooser, Professor für Hygiene an der Universität Zürich und Geigys Begleiter auf der Expedition von 1954, welche der Erforschung des afrikanischen Rückfallfiebers in Tanganyika gewidmet war. Mooser sammelte seine Erfahrungen mit den «Tropen» in Mexiko, wo er sich mit Arbeiten über das mexikanische Fleckfieber hervorgetan hatte. Erwähnt sei hier nur noch Frédéric Roulet, Professor für Pathologie an der Universität Basel. Auch er war mit auf einer Expedition des Tropeninstituts und später federführend bei der Eröffnung eines Pathologie-Blockes in Dar es Salaam, nachdem das STI seine Aktivitäten in Richtung einer «Entwicklungshilfe» gebündelt hatte.

Die Tropenklinik in Basel
Alle hier Erwähnten und noch einige mehr hatten im Rahmen des tropenmedizinischen Kurses des Tropeninstituts Vorlesungen über Tropenkrankheiten gehalten, doch keiner von ihnen war befähigt, die Leitung der Tropenklinik an der Socinstrasse zu übernehmen. Zu sehr waren sie in den universitären Administrations- und Lehrbetrieb eingebunden. Genau diesem Misstand aber wollte Rudolf Geigy begegnen. Wollte man den Ausbau der medizinischen Seite des Instituts vorantreiben, so musste man nach einem international bekannten Tropenmediziner Ausschau halten, der bereit wäre, die Leitung der Tropenklinik zu übernehmen und dessen Name über die Landesgrenzen ausstrahlte. Mit Médecin-Général Adolphe Sicé schien Geigy den geeigneten Mann gefunden zu haben.

General Sicé war Direktor des Gesundheitsdienstes von Französisch-Äquatorialafrika und hatte intensiv über die afrikanische Schlafkrankheit gearbeitet – ein Forschungsbereich, für den sich auch Geigy sehr interessierte, und dem er sich in Tansania später ausgiebig widmen sollte. Sicé vertrat die Auffassung, der Nachweis der Schlafkrankheit sei nur durch das Verfahren der Lumbalpunktion und dem anschliessenden Liquorbefund zu erbringen. Er hatte an seinem Wirkungsort Brazzaville über 10'000 solcher Punktionen durchgeführt. Diese schmerzhaften Eingriffe gingen im Kongo-Brazzaville mit einer solchen Häufigkeit von statten, dass diese Praxis schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts als eigenständiges Verb (lumbal-punctured) in den Wortschatz der Bevölkerung eingegangen war. Die Anstellung Sicés als Leiter der Tropenklinik wurde auch von Schweizer Handelskreisen in Afrika wohlwollend aufgenommen.

Jules Wanner, Leiter der gleichnamigen Handelsfirma in Kamerun, war überzeugt, dass die Berufung Sicés nach Basel freundschaftliche Gefühle der Franzosen gegenüber der in den französischen Kolonien lebenden Schweizern entfachen würde und als müsste er seiner Gewissheit noch zusätzliches Gewicht verleihen, schrieb er nach Basel: "Denn General Sicé ist in allen Regierungs- und sonstigen einflussreichen Kreisen sehr geschätzt und dessen Ehrung durch die Schweiz und speziell durch Basel wird dort allgemein sehr angenehm empfunden und gut aufgenommen, wie ich immer wieder festzustellen Gelegenheit hatte." Die Berufung Sicés lässt aber nicht nur die Hoffnungen der Schweizer Handelsinteressen in Afrika aufscheinen.

Seine zukünftige Anwesenheit in Basel bot auch Gelegenheit, das Verhältnis des Tropeninstituts zur Universität und insbesondere zur Medizinischen Fakultät zu debattieren. Denn der General sollte nicht nur die Leitung der Tropenklinik des Tropeninstituts übernehmen, sondern zusätzlich in den Rang eines ordentlichen Professors an der Universität erhoben werden. Die Fakultät hatte daher den Antrag des Tropeninstituts zur Verleihung eines Ordinariats für den Franzosen zu prüfen. In diesem Kontext machte Wilhelm Lutz in der Funktion des Dekans der Medizinischen Fakultät noch einmal deutlich, dass keine offiziellen Verbindungen zwischen dem Tropeninstitut und der Medizinischen Fakultät bestünden. Immerhin war er sich aber drei Jahre nach der Gründung des Tropeninstituts sicher, dass sich die Interessen beider Institutionen derart überlappen, dass eine enge Zusammenarbeit sowohl der Fakultät als auch dem Tropeninstitut von Nutzen sein würde. Die Mitglieder der Fakultät hatten demnach keine Probleme, dem STI in ihrem Vorschlag entgegenzukommen, doch wurde betont, dass diese Frage personenabhängig und deshalb immer von neuem zu beurteilen sei.

Der Berufung Sicés als Leiter der Tropenklinik und seinem Stand entsprechend auch als ordentlicher Professor der Medizininschen Fakultät hatte somit niemand etwas einzuwenden. Dass er den Posten des Klinikleiters dann aber doch nicht antrat, hatte dann auch nichts mit der Beziehung zwischen dem Tropeninstitut und der Universität, sondern wohl eher mit den persönlichen Differenzen zwischen dem General und Rudolf Geigy, sowie den strukturellen Problemen der Tropenmedizin in der Schweiz der Nachkriegszeit zu tun. Die Rede von der Globalisierung und den Tropenrückkehren schlug sich nicht in steigenden Patientenzahlen nieder. Die Klinik war notorisch unterversorgt, rutschte in die roten Zahlen und musste zwischenzeitlich GynäkologInnen weichen, die Geigy mit den Worten verteidigte, die Tropenklinik sei ja ohnehin nie ausschliesslich für Tropenmedizin gedacht gewesen.

Das Beispiel der Basler Tropenmedizin zeigt, dass die Beziehung zwischen dem STI und der Universität hauptsächlich auf persönlicher Ebene spielte. Es waren Universitätsangehörige, die auch am Allgemeinen Tropenkurs oder im Rahmen des tropenmedizinischen Kurses Vorlesungen hielten oder umgekehrt, Mitarbeiter des Tropeninstituts, die als Angehörige der verschiedenen Fakultäten in den Lehrbetrieb der Universität einbezogen waren. In unserem Falle hier war es nicht zuletzt Rudolf Geigy selbst, der als Professor für Zoologie, als Dekan und schliesslich als Rektor der Universität das Scharnier zwischen den beiden Institutionen bildete.

 

 

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Quellen

  • StABS, Universitätsarchiv I 71.1, Schweizerisches Tropeninstitut, 1942-1944, Brief Otto Zipfel 21.10.1942.
  • StABS, Universitätsarchiv 71.1. Alfred Gigon, Exposé „Schweizerisches Institut für tropische Wissenschaften und
    Wirtschaftsbeziehungen“, 24.11.1942.
  • StABS, Verordnung über die Organisation und Tätigkeit des Schweizerischen Tropeninstituts in Basel (STI) vom 15. August
    1978.
  • Fritz Sarasin, Aus einem glücklichen Leben. Biographische Notizen von Fritz Sarasin, in: StABS, PA 212a, T2, Sarasinisches Familienarchiv, XLIV 92. 

Literatur

  • Lukas Meier, Das Schweizerische Tropeninstitut – Ein assoziiertes Institut der Universität Basel: Vom Nebeneinander zum Miteinander, Basel 2010.
  • Thierry A. Freyvogel, Das STI, die ersten Jahrzehnte, in: Schweizerisches Tropeninstitut Basel, 1943-1993.
  • Thierry A. Freyvogel, Forschung und Lehre am STI in Basel, in: Verhandlungen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft, 78, S. 13-20. 
  • Rudolf Geigy, Zum 25jährigen Jubiläum des Schweizerischen Tropeninstituts 1943-1968, in: Jahresbericht des Schweizerischen Tropeninstituts in Basel, Nr. 25, 1968, S. 21-28.
  • Lukas Meier, Im Tropenfieber. Das Schweizerische Tropeninstitut (STI) im Spannungsfeld zwischen ökonomischen Kalkül und humanitärer Tradition 1943-1961, Lizentiatsarbeit Universität Basel, 2007. 
  • Anne Karin Wiedenmayer, 50 Jahre Schweizerisches Tropeninstitut 1943–1993, in: Schweizer Apothekerzeitung, Nr. 132, Bern 1994, S. 8–11.