Hundert Jahre nach der Gründung der Universität Basel wurde 1559/60 am Rheinsprung die neue Bibliothek, das sogenannte Brabeuterium, eingeweiht. Anlässlich dieser Einweihung wurden zehn Glasfenster gestiftet, in denen die Universität und ihre Glieder sich selbst darstellten.
Solche Stiftungen waren im Zusammenhang mit Einweihungen von Gebäuden in der damaligen Zeit absolut üblich und als Mittel der repräsentativen Selbstinszenierung sehr beliebt. Die Wappenscheiben stammen zum grösseren Teil von Ludwig Ringler, einem bekannten Basler Glasmaler, und von Hans Jörg Riecher, der wohl etwas weniger bedeutend gewesen ist.
Während die Scheibe mit dem Rektoratswappen für die ganze Universität steht, haben die vier Fakultäten je eigene Scheiben gestiftet. Diejenige der Juristen ist allerdings nur noch in der Entwurfszeichnung erhalten. Zudem stifteten auch einzelne Professoren, die Deputaten und die Bibliothekare je eigene Scheiben.
Die Wappenscheibe der Universität
Die Rollwerkkartusche im Sockel trägt die Inschrift: «EX DONO ALMAE VNIVERSTIATIS STVDY BASLIENSIS 1560» (Geschenk der Universität Basel 1560).
Im Mittelfeld entspricht das aufgeschlagene Buch, das aus den Wolken von einer Hand dargeboten wird und von zwölf Sternen umgeben ist, dem Rektoratssiegel, das seit 1460 gebräulich war. Die rechte Hand Gottes steht in der Ikonologie für Segnung, Ermahnung oder Anleitung, hier vielleicht zusammen mit dem Buch für die Überreichung der Gesetztestafeln an Moses. In den vier Bogenzwickeln befinden sich antikisierend gekleidete Allegorien der vier Fakultäten: Medicina mit erhobenem Glaskolben (evtl. einem Uringlas), Philosophia, mit einer Tafel mit arithemtischen Berechnungen, Theologia, die vor einem Kreuz an einem Marmortisch schreibt, und Iustitia mit Szepter und Schwert.
Die Wappenscheibe der Theologischen Fakultät
Die Sockelinschrift in der Kartusche lautet: «ORDO THEOLOG. ACADE.
BAS. D(ONO) D(DEDIT)» (Geschenk der Theologischen Fakultät der Basler
Akademie). Die Scheibe zeigt im Mittelfeld als Sinnblid der
triumphierenden, wahren, evangelischen Kirche Christi eine stehende
Frauengestalt im antikisierenden Muskelpanzer, in der Rechten ein
flammendes Kruzifix, in der Linken einen Deckelkelch, unter dem Arm ein
geschlossenes Buch, die auf einem Steinblock mit der Aufschrift «PETRA
AUTEM ERAT CHISTUS» (der Fels aber war Christus, 1. Kor. 10,4) steht.
Hinter dem Steinblock liegt als Verkörperung der gestürzten römischen
Ecclesia eine Frau mit achtlos geneigtem Deckelkelch und Rosenkranz. Im
Hintergrund öffnet sich der Ausblick in eine Landschaft, in der links
sinnblidhaft auf den Opfertod Christi und dessen rituelle Wiederholung im
Gottesdienst angespielt wird. Rechts in der
Niederung sind einem Flusslauf entlang mehrere nimbierte Personen, wohl
Apostel, zu sehen, die zur Verkündigung der Frohen Botschaft nach dem
Opfertod Christi in die Welt ziehen. Die begleitenden allegorischen
Figuren stellen Glaube, Liebe, Hoffnung und Gerechtigkeit dar. Im
Arkadenscheitel sind die Wappen der beiden Theologen Martin Borrhaus
und Wolfgang Wissenburg angebracht.
Der Scheibenriss der Juristischen Fakultät
Die Wappenscheibe der Juristischen Fakultät ist nicht erhalten, wohl dagegen die Vorzeichnung. Links vom Basler Wappenschild steht der Papst gekennzeichnet mit dem
Schlüsselattribut, rechts der Kaiser mit Reichsapfel und blankem
Schwert; beide Figuren dienen als Verkörperung von kanonischem und
zivilem Recht. Die Fakultät hielt damit trotz der Reformation an der
Bildidee nach dem Fakultätssiegel des 15. Jahrhunderts fest. Im oberen Bildtteil sind Iustitia auf der
Erdkugel, Veritas und Prudentia zu sehen.
Iustitia trägt das seit dem 16. Jahrhundert übliche Attribut der
Augenbinde, zudem Waage und Schwert; sie steht als Sinnbild der irdischen
Gerechtigkeit. Die Wahrheit liest in einem Buch, die Klugheit
betrachtet ihr Spiegelbild. Die drei unausgeführten Schilde enthielten
wohl die Namen dreier Fakultätsmitglieder.
Die Wappenscheibe der Medizinischen Fakultät
Die Rollwerkkartusche im Sockel trägt die Inschrift: «EX DONO
FACVLTATIS MEDICE STVDY BASILIENSIS 1560» (Geschenk der Medizinischen
Fakultät). Die Scheibe zeigt als Hauptbild im Rückgriff auf das Fakultätssiegel aus dem 15.
Jahrhundert den geflügelten und nimbierten Lukasstier, als Symboltier
für den Evangelisten Lukas, den Schutzpatron der Mediziner.
Vor einer Landschaft mit Stadt im Hintergrund vollführen zwei Personen
wissenschaftliche Messungen. Ein Akademiker in Talar und mit Barett
hält am ausgetreckten Arm eine Armillarsphäre und beobachtet mit
erhobenem Zeigefinger dozierend den Himmel. Ihm gegenüber in einigem
Abstand visiert ein Schüler (?) mit einem einfachen Winkelmass Gebäude in der Landschaft. Beide Handlungen lassen
sich ohne direkten Bezug zur Medizin als Modelle der Erkenntnis oder Aneignung von Wirklichkeit lesen und reflektieren damit auf das Selbstverständnis des Faches. Die rahmende
Arkade wird von zehn Wappenschilden bedeckt, die den
Fakultätsangehörigen gehören, die 1560 lehrten.
Die Wappenscheibe der Artistenfakultät
Die Rollwerkkartusche im Sockel trägt die Inschrift: «EX DONO
FACVLTATIS ARTIVM ACCADEMIAE BASILIENSIS MDLX» (Geschenk der
Artistenfakultät, 1560). Sie wird durch einen stehenden Mann im braunen Talar
mit Barett verkörpert. Als Anregung fungierte der bekannte
Einzelholzschnitt von Hans Holbein, der den stehenden Erasmus von
Rotterdam «im Gehäus», in einer Arkadenrahmung, zeigt. Die
Artistenfakultät erwies damit dem berühmten Humanisten ihre Reverenz.
Der Artist steht mit aufgeschlagenem Buch in der Hand auf einem
gefliesten Steinfussboden; hinter ihm öffnet sich eine rein dekorative,
idealisierende Stadttopographie mit Brücken, Schiffen, Kirchen,
Zentralbauten und Giebelhäusern. Wie bei der Wappenscheibe der
Mediziner wird die rahmende Arkade von zehn Wappenschilden von Fakultätsmitgliedern bedeckt.
Die Wappenscheibe des Juristen Bonifacius Amerbach
Die Kartusche im Sockel trägt die Inschrift: «BONIFACIVS
AMERBACHIVS I(VRIS) C(ONSVLTVS)». Aus persönlichen Notizen von
Bonifacius Amerbach, die nicht nur den Text der Devisen und
Inschriften, sondern auch Vorschläge zur Gestaltung einzelner
Bildelemente z.T. nach der zeitgenössischen Emblemliteratur enthalten,
kennen wir für diese Scheibe die enge Zusammenarbeit zwischen dem
intellektuellen Auftraggeber und dem ausführenden Künstler. Im
Mittelfeld auf blauem Hintergrund das Wappen von Amerbach. das von ihm
zusammen gestellte Programm der Begleitfiguren und Sinnsprüche
charakterisiert den 65jährigen Gelehrten als selbstgenügsamen Weisen.
Besonders deutlich wird dies in den Devisen der Arkadenzwickel: links
«ΕΣΤΙ ΠΟΡΙΣΜΟΣ ΜΕΓΑΣ Η ΕΥΣΕΒΕΙΑ ΜΕΤΑ ΑΥΤΑΡΚΕΙΑΣ» (Es ist aber ein
grosser Gewinn, wer gottseelig ist und lässt sich begnügen, 1. Tim 6,6),
rechts «CONTENTUM REBVS SVIS ESSE MAXIMAE SVNT CERTISSIMAEQVE DIVITIAE»
(Zufrieden zu sein mit dem, was man hat, ist der grösste und sicherste
Reichtum, Cicero Paradoxa). Zwischen diesen Inschriften
thront «ΑΥΤΑΡΚΕΙΑ», die Selbstgenügsamkeit, ein Füllhorn in der einen,
einen Olivenzweig in der anderen Hand, die Füsse stützt sie auf die
gefesselte «ΦΙΛΑΡΓΥΡΙΑ», die Geldgier/den Geiz. Links steht «NEMESIS» mit
gewinkeltem Ellenmass und Zaumzeug als Personifikation des strafenden
und gerecht ausgleichenden Schicksals, rechts «IVSITITA» mit Waage und
einem Fascesbündel, dem altrömischen Symbol der Hoheits- und Amtsgewalt, zu ihren Füssen das Symbol des auf einem Bein stehenden Kranichs mit
einem Stein in der erhobenen Kralle, der sich so am Einschlafen
hinderte und seine Wachsamkeit stärkte.
Die Wappenscheibe des Theologen Simon Sulzer
Die Rollwerkkartusche im Sockel trägt die Inschrift: «SIMON SVLCERVS
ECCLESIAE BASI(LIENSIS) MINISTER ET SACRAR(VM) LITER(ARVM) PRO(FESSOR)
1560» (Diener der Basler Kirche und Professor der Theologie, 1560).
In der Mitte auf blauem Grund das Wappen
Sulzers, eine von einem weissen Kreuz gekrönte Rose an grünem
Blätterstiel, bekränzt von einem Totenschädel mit darüber drapiertem
Leichentuch. Auf dem Schädel steht der auferstandene Christus mit dem
Kreuz und einem Spruchband, das Sulzers Wahlspruch enthält: «NOS
PRAEDICAMVS CHRISTVM ET HVNC CRVCIFIXVM» (Wir aber predigen den
gekreuzigten Christus, 1. Kor. 1,23.) Links die Allegorie der «SPES»
(Hoffnung), rechts der «FIDES» (Glauben). Im fast monochromen
Oberbild wird die zweigeteilte Szene «Moses und die eherne Schlange»
gezeigt, die schon im Mittelalter als Präfiguration des Opfertodes
Christi gedeutet wurde.
Die Wappenscheibe des Medizinprofessors Isaak Keller
Diese Wappenscheibe ist nur noch in Fragmenten erhalten. Die Inschrift in der Rollwerkkartusche lautet: «D(OCTOR) ISACH KELLER 1560». Das nicht mehr erhaltene mittlere Bildfeld für das Wappen des Professors für theoretische Medizin, Isaak Keller, wurde flankiert von Galen und Hippokrates als Begleitfiguren. Rechts oben im Zwickel einer Arkade angeordnet findet sich noch das Bild eines Bauern und einer Bäuerin beim Wurzel- bzw. Kräutersammeln. Isaak Keller war eine der schillerndsten Figuren der damaligen Universitätsgeschichte. In den Jahren 1559 und 1569 war er Rektor der Universität gewesen. 1571 wurde er zum Verwalter des säkularisierten Chorherrenstiftes St. Peter bestellt. Als sich 1579 heraus stellte, dass er die ungeheure Summe von 31'000 Pfund unterschlagen hatte, wurde ihm seine Stelle sofort entzogen und er wurde aus dem Collegium der medizinischen Fakultät verstossen. Nach seiner Flucht wurde sein Hab und Gut versteigert. Ob die Scheibe zufällig zerbrach oder mit Absicht als «damnatio memoriae» aus der Bibliothek entfernt wurde, ist nicht bekannt.
Die Wappenscheibe der vier Deputaten des Rates, 1561/62
Um die Wappen der vier Deputaten des Rates zu zeigen, verlässt diese
Wappenscheibe als einzige des Zyklus das Schema des zentralen, von einer
Arkade gerahmten Bildfeldes, indem sie es vervierfacht. Am
Kreuzungspunkt der Bildeinteilung ist ein Wappenschild mit Baslerstab
angebracht. Die Rollwerkkartusche in der unteren Bildmitte trägt die
Inschrift: «DEPVTATI AB AMPLIS(SIMO) SENATV BASILIENSI ORDINATI DONO
DEDERVNT» (Die vom hohen Basler Rat bestimmten Deputaten haben als
Geschenk gegeben). Die Deputaten verwalteten die Einkünfte der
Universität und vermittelten zwischen ihr und dem Rat. Das Gremium
bestand seit 1461. Es bestand aus drei Ratsherren und dem
Stadtschreiber.
Die Wappenscheibe der drei Bibliothekare, 1564
Die von drei Bibliothekaren gestiftete Wappenscheibe enthält im
Bildmittelfeld deren Wappen. Es handelt sich um den Juristen Ulrich
Iselin («HVLDRICVS ISELIN IVRE CONSVLTVS»), den Dekan der
Artistenfakultät, Ulrich Koch («HVLDRCVS COCCIVS THEOLOGVS»), und den
Dekan der Mediziner («HEINRICVS PANTALEON MEDICVS»). Links die
Allegorie der «TEMPORA ANT.», der Kardinaltugend der Mässigkeit
–
Temperantia
– die aus einem Krug Wasser in eine Weinschale giesst.
Rechts ebenfalls auf einer Erdkugel stehend die Allegorie des Glaubens
(Fides). Sie weist mit dem Finger auf die Kreuzesstange, die sie im
linken Arm hält. Auf ihrer Stirn befindet sich ein kleiner Halbmond,
das auch als Attribut der antiken Göttin Diana gelesen werden kann. Die
Kartusche unten im Bild nennt als Stifter für diese Wappenscheibe im
Brabeuterium die Hausherren selbst, die Bibliothekare: «BIBLIOTHECARII ACADEMIE BASILIENSIS
DONO D(EDERUNT) 1564».