Von Versöhnungsstrategien der 1950er Jahre zu ersten Kooperationen in den 1980ern
Ganz am Anfang des Kooperationsprojekts EUCOR könnten Ausläufer der
seit 1949/50 verfolgten Versöhnungsstrategie wirksam gewesen sein,
welche aus den vormaligen Erbfeinden freundliche Nachbarn oder sogar
Brüder und Schwestern machen wollte.
Die mit dem Elysée-Vertrag von 1963 zusätzlich gesicherte
deutsch-französische Partnerschaft war zu Beginn der 1980er Jahre
einigermassen eine Selbstverständlichkeit. Sie musste nicht als solche
speziell gepflegt, sie konnte eher für anderes, zum Beispiel eben die
Universitätskooperation in den Dienst genommen werden.
In den Akten findet sich recht zufällig in einem Schreiben des
Freiburger Rektors einen Hinweis darauf, dass der Landtag
Baden-Württemberg bereits 1978 die Universität Freiburg unterstützen
wird, «eine Oberrheinische Akademie vorzubereiten». In diesem Schreiben
vom Sommer 1984 ist davon die Rede, für die wissenschaftliche
Ausbildung in der Regio ein Modell zu schaffen, «das qualitativ
erheblich über das bisher Erreichte hinausging». Nicht untypisch sollte
in diesen Vorstellungen neue Zukunft durch Wiederherstellung alter
Zeiten erschlossen werden. Denn weiter heisst es in diesem Schreiben: «Damit würde ein Gedanke aufgegriffen, der zwischen Freiburg und Basel
in den 50er Jahren bereits praktiziert wurde und eine ins Mittelalter
zurückreichende Tradition hätte.»
Karl Pestalozzi, Basler Rektor und Germanist, jedoch meldete 1992
während seiner EUCOR-Präsidentschaft Vorbehalte gegenüber einer
Rhetorik an, die ungeniert bis ins Mittelalter zurückgriff. Ein
Werbefilm einer regional tätigen Bank, bemerkte Rektor Pestalozzi, habe
die Region als junges Mädchen dargestellt, das wie Dornröschen nach
jahrhunderte langem Schlaf endlich wieder zu neuem Leben erwache. Dem
hielt er entgegen: «In EUCOR ist man zurückhaltend mit solch
romantisierender Rhetorik. Für mein Empfinden hält uns nicht eine lange
verschüttete kollektive Erinnerung zusammen, sondern im Gegenteil der
Wille, die jahrhundertealten Gräben zuzuschütten.» Die oben
angesprochenen 1950er Jahre standen ganz im Zeichen des Wiederaufbaus
nach dem zweiten grossen europäischen Bürgerkrieg.
Zur Vorgeschichte gehörte auch die Erweiterung der «Dreiländerecke» auf
das «Gebiet des Oberrhein-Grabens», dass heisst der erstmaligen
Einladung der Universität Karlsruhe in die Konferenz der
oberrheinischen Universitäten im Februar 1984. In der Folge fanden 1985
in Freiburg, 1986 in Strassburg und 1987 in Basel drei gewichtige
Symposien unter dem Titel «Universität und Region» mit breiter
Mitwirkung von Vertretern der Universitäten, aber auch von Politik und
Wirtschaft statt. Vom Elan dieser Treffen (und der Zeit) beflügelt,
kam der Plan auf, alle zwei Jahre einen Dreiländer-Kongress
durchzuführen. Ein erster war schon bald für den September 1988 in Kehl
ausgeschrieben. Die Universitäten selbst spielten in dieser
Organisation aber keine wichtige Rolle.
Die Rolle der Regio-Vereine
Die universitäre Kooperation
entstand weitgehend unabhängig von den Aktivitäten der Regio-Vereine,
das heisst sie wurde nicht direkt von diesen vorangetrieben. Im
Gegenteil, im Falle der deutschen Regio-Vereinigung kann man sogar
sagen, dass die universitäre Kooperation die Gründung der «Freiburger
Regio-Gesellschaft» (später «Schwarzwald Oberrhein») erleichterte.
Jedenfalls nahm der Freiburger Oberbürgermeister das Symposium «Universität und Region» zum Anlass, um das angestrebte (und längst
fällige) Pendant zur Regio Basiliensis (1963) und zur Regio du
Haut-Rhin (1965) zu schaffen. Zwischen der universitären Kooperation
und der allgemeinen Regio-Arbeit gab es jedoch Berührungspunkte,
beispielsweise wenn im Oktober 1983 die Institute für Regionalpolitik
und Verkehrswissenschaft von Freiburg und Mulhouse ein gemeinsames
Seminar zur «Infrastruktur des Oberrhein-Gebiets» durchführte oder im
August 1984 ein ständiges «Kolloquium Oberrheinischer Probleme» ins
Auge gefasst wurde. Die Gründung von EUCOR scheint somit nicht aus
einem akuten Koordinationsbedarf hervorgegangen zu sein, die
Vereinbarung sollte mehr eine bereits bestehende Praxis formalisieren
und verstetigen.
EUCOR als Teil des allgemeinen europäischen Aufbruchs der späten 1980er Jahre
Das
Kleinprojekt der überrheinischen Region war Teil des allgemeinen
Aufbruchs, der in den 1980er Jahren den Gang der gesamteuropäischen
Entwicklung bestimmte und davon ausging, dass man auf der Höhe der
Anforderungen eines «Europa von morgen» sein sollte.
Es ging vor allem darum, «fit» für das künftige Europa zu sein, für ein
Europa, wie man den Formulierungen von 1988 entnehmen kann, das bereits
unterwegs war und mit dessen Marschtempo man Schritt halten wollte. Wir
wissen nicht, was die zeitgenössischen Universitätsrektoren davon
wahrnahmen und wie sie die Verhältnisse einschätzten. Der
westeuropäische Integrationsschub erhielt jedenfalls mit der
Verabschiedung des Weissbuchs zur Vollendung des Binnenmarktes am
Gipfel von Mailand im Juni 1985 starken Auftrieb und ein halbes Jahr
später mit der Zustimmung zur Einheitlichen Europäischen Akte am Gipfel
von Luxemburg im Dezember 1985 eine weitere Bestätigung. Der Horizont
Binnenmarkt 1992 wurde zu einer allgemeinen Bezugsgrösse des Denkens
und Handelns. Nicht zufällig war daher von ihm auch bei der
Präsentation der Vereinbarung vom Dezember 1989 die Rede.
Und auch nicht zufällig fand zur gleichen Zeit, d.h. nur gerade zwei
Tage, nachdem EUCOR im Basler Stadthaus besiegelt worden war, ebenfalls
in Basel der Regio-Gipfel mit den Herren Mitterand, Kohl und Delamuraz
statt. Die damit unterstrichene Bedeutung der Regionen, in aller Form
durch das Europäische Parlament bereits im November 1988 anerkannt,
fand schließlich drei Jahre später in Maastricht eine doppelte
Bestätigung: zum einen durch die Bildung eines Ausschusses der
Regionen, welche die bereits 1985 geschaffenen Versammlung der Regionen
aufwertete und zum anderen durch die Festschreibung des Prinzips der
Subsidiarität.
Parallel zum Ausbau des westeuropäischen Integrationsprojekts und in
einem noch ungeklärten Verhältnis zu diesem kam es in der zweiten
Hälfte der 1980er Jahre zu einer deutlichen Entspannung im
Ost-West-Verhältnis. Alles fiel dann gegen Ende 1989 sonderbar
zusammen: auf der kontinentalen Ebene die seit längerem sich
anbahnende, aber doch überraschende Erosion des Ostblocks, auf der
internationalen-westeuropäischen Ebene der von längerer Hand
vorbereitete Regio Gipfel und auf regionaler Ebene, wie wir gesehen
haben, EUCOR, ebenfalls mit einer längeren Vorlaufzeit. Ein halbes
Jahr vor der EUCOR-Unterzeichnung, am 6. Juli 1989, hatte der
sowjetische Parteisekretär Gorbatschow vor dem Europarat in Strassburg
erneut vom «gemeinsamen europäischen Haus» gesprochen und damit
Vorstellungen, die er bereits 1985 thematisiert hatte, weiter
konkretisiert. EUCOR sah übrigens in den folgenden Jahren in den
Kontakten mit Rektoren von zentral- und osteuropäischen Universitäten
eine wichtige Aufgabe.
Die EUCOR-Architekten trieben, eingebettet in die breitere Dynamik, ein
dieser umfassenden Bewegung entsprechendes Einzelprojekt voran und
verstanden sich dabei sogar ein wenig als Pioniere. Noch zwei Jahre
später findet sich in den Worten des damaligen EUCOR-Präsidenten, dem
angeberische Ambitionen fremd waren, die Meinung, dass das Unternehmen
wegbereitender Natur sein könnte: «...nous insisterons (...) sur le
caractère exemplaire de la coopération transfrontalière entre les
universités du Rhin Supérieur qui pourrait acquérir une certaine
importance pour des régions similaires.»