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Russlandbilder in Basler Buchdrucken des 16. JahrhundertsDen Basler Druckereien kommt bei der Verbreitung von Nachrichten über die Moskauer Rus’ während der Renaissance in Europa eine besonders wichtige Rolle zu. In einem halben Jahrhundert – im zweiten und dritten Viertel des 16. Jahrhunderts – wurde Basel, dessen Buchdruck in dieser Zeit seine höchste Blüte erlebte, das europäische Zentrum für die Verbreitung von Kenntnissen über das damalige Russland.
Verschiedene Faktoren turgen zum Erfolg und Einfluss der Basler Publikationen bei: Da war zum einen die ungewöhnlich hohe polygraphische Qualität der Basler
Ausgaben, weiter die Fähigkeit der Buchdrucker, die Konjunktur des Buchmarktes
richtig einzuschätzen und dem lesenden Publikum schnell das von ihm benötigte Werk
in einer ihn ansprechenden Art anzubieten und schliesslich die
überwiegende Orientierung an der lateinischen Sprache – jener Sprache, die den
gebildeten Menschen bekannt
und ein überkonfessioneller gemeinsamer Nenner war.
Im
Januar 1526 erschien in Basel in der Druckerei Johann Bebels die erste Ausgabe
des Werkes «Über die Religion der Moskowiter nahe dem Eismeer», verfasst von
Johann Fabri, dem Berater des österreichischen Erzherzogs Ferdinand. Im Jahre 1527 fertigte der berühmte Basler Buchdrucker
Johann Froben als eine seiner letzten Publikationen die prächtige Ausgabe «Die
Bücher über die Botschaft des Grossfürsten Vasilij» des italienischen
Historikers und Humanisten Paolo Giovios an, das zwei Jahre zuvor in Rom
veröffentlicht worden war.
Diese beiden Arbeiten geben die Aufzeichnungen der Gespräche – eine Art von
Interviews – mit den Botschaftern des Moskauer Herrschers Vasilijs III.
(1479-1533) wieder. Sie gehören mit ihrem geringem Umfang zu jener Art von
Erzählungen über unbekannte Erdteile, die sich in den ersten Jahrzehnten des
16. Jahrhunderts ausbreiteten und nach dem Charakter der Ausgabe an die
frühesten Publikationen der Briefe Amerigo Vespuccis oder der «Utopie» des Thomas Morus erinnern.
In
den Werken Johann Fabris und Paolo Giovios
ist das Moskauer Russland zum ersten Mal nicht ein Neben-, sondern das
Hauptthema und der einzige Gegenstand der Bücher. Dabei wird – und auch das
erstmalig – die Bezeichnung des bis dahin beinahe unbekannten Staates im Titel
der zwei mit grosser Kunstfertigkeit herausgegeben Büchlein hervorgehoben.
Beide Schriften dienten den Westeuropäern bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts
als zugänglichste Quellen zu dem neu entdeckten Land, das von den erwähnten
Autoren in einem vorteilhaften und etwas idealisierten Licht vorgestellt wurde.
In den folgenden Jahren wurde das Buch Giovios mehrmals als eigenständige Ausgabe (unter anderem in Basel in den
Jahren 1537 und 1545), aber auch zusammen mit weiteren Werken des Autors oder
in thematischen Sammelbänden veröffentlicht.
Im
Jahre 1532 publizierte der Basler Buchdrucker Johann Herwagen einen Band mit
Mitteilungen jeglicher Art über unlängst von Reisenden entdeckte Länder. Er
enthielt auch «Das Traktat über die zwei Sarmatien» des polnischen Gelehrten
Mathias de Miechow, die schon früher in den Jahren 1517 und 1521 in Krakau und
1518 in Augsburg veröffentlicht worden waren.
In den Jahren 1537 und 1555 hat Herwagen seine Ausgabe wiederaufgelegt. Das
Traktat Mathias de Miechows liefert äusserst dürftige und zufällige Nachrichten
aus zweiter Hand über das Moskauer Reich. Nichtsdestoweniger war es in der
gelehrten Welt gut bekannt. Und so hatte das Traktat neben dem Werk Paolo
Giovios grossen Einfluss auf den
Abschnitt über Moskowien in Sebastian Münsters «Allgemeiner Kosmographie», die
Heinrich Petri 1544 in Basel in deutscher Sprache, 1550 in lateinischer und
1568 in französischer Sprache herausgab.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts veröffentlichte dieser Buchdrucker
mehrfach in Basel Münsters Arbeit in deutscher und lateinischer Sprache. Das im 16. Jahrhundert ausführlichste Werk, das reich an verschiedenartigen Nachrichten über den Moskauer Staat Vasilijs III. ist, stellen Sigismund von Herbersteins «Rerum Moscoviticarum Commentarii» dar. Sie wurden ursprünglich in lateinischer Sprache verfasst und zum ersten Mal 1549 in Wien gedruckt. Sehr bald gelangte die Schrift in den Besitz der Basler Buchdrucker. Im Jahre 1551 schuf der bekannte Historiker und Arzt Wolfgang Lazius in Basel beim Buchdrucker Johann Oporinus (Herbst) eine neue, qualitativ viel hochwertigere Ausgabe der Arbeit Herbersteins. Die folgende Auflage der «Commentarii», gedruckt bei Oporinus im Jahre 1556, war als Festausgabe gedacht und wurde wie die vorhergehende unter der Aufsicht von Lazius verwirklicht. Sie stellte eine neue, vom Autor selbst ergänzte Redaktion des Textes dar, auf die sich alle weiteren Publikationen der Arbeit stützten. 1571 veröffentlichte Oporinus eine weitere Ausgabe der «Commentarii» Herbersteins in einem Sammelband über den Moskauer Staat, der ausserdem neben der Erzählung Paolo Giovios den «Commentarius de bellis Moscorum»des deutschen Historikers und Gelehrten Johann Löwenklau enthielten. Die Basler Buchdrucker waren an der Publikation der Arbeit Herbersteins in deutscher Sprache beteiligt, bevorzugten aber nicht die Autorenredaktion, die 1557 in Wien unter dem Namen «Moskovia der Hauptstat in Reissen» [sic!] veröffentlicht worden war, sondern Heinrich Pantaleons Übersetzung unter dem Titel «Moskoviter wunderbare Historien». Eben diese druckten im Jahre 1563 Nikolaus Brillinger und Marx Russinger in Basel – erneut zusammen mit der Übersetzung des Büchleins von Paolo Giovio.
Insgesamt
wurden während des 16. Jahrhunderts Herbersteins «Commentarii» in lateinischer
Sprache sechs Mal herausgegeben, davon waren drei Veröffentlichungen (darunter
die beste aus dem Jahre 1556) in Basel gedruckt worden. Auf deutsch wurden die «Commentarii» Herbersteins fünf Mal publiziert, darunter zwei Mal in Basel.
Diese Zahlen charakterisieren jene herausragende Stellung, die der Basler Buchdruck
bis zur Mitte der 1570er Jahre bei der Publikation der Russland gewidmeten
Arbeiten einnahm.
Wie
Herberstein beschrieben auch seine Vorgänger – Paolo Giovio und Johann Fabri –,
obwohl sie ihre Werke früher verfassten und publizierten als der sich verherrlichende
Habsburger Diplomat, das russische Land während der Regierungszeit Vasilijs
III., und zwar hauptsächlich für die Zeit von etwa 1515
bis etwa 1525. Wenn man aber bei Herberstein und
seinen Vorgängern die Beziehung zu Russland vergleicht, dann zeigt sich, dass
ihr gemeinsames Thema keineswegs identische oder zumindest sehr ähnliche Bilder
über Russland beinhaltete. Im Gegenteil: das Bild des russischen Lebens, das
Sigismund von Herberstein zeichnete, der in den Jahren 1517 und 1526 als
Botschafter die Moskauer Rus’ besucht hatte, unterscheidet sich grundlegend von
jenen Bildern, die man Giovios und Fabris Traktaten über Moskowien entnehmen
konnte. Letztere stützten sich in ihren Werken auf fremde mündliche Erzählungen
und auf schriftliche Berichte.
Im
Blick auf die Gegebenheiten, die Kennzeichen oder den Charakter des
moskowitischen Lebens widersprach Herberstein nicht unbedingt seinen
Vorgängern. Aber dies alles erschien bei ihm in der Regel in einem völlig
anderen Licht und führte zu gerade entgegengesetzten Schlussfolgerungen. Giovio
und Fabri nahmen das Moskauer Russland als potentiellen Verbündeten wahr und
beschrieben es als eine Kraft, an die man sich im Kampf gegen die äusseren und
inneren Gefahren um Hilfe wenden konnte – vor allem gegen die osmanische
Eroberung und die protestantische «Ketzerei». Herberstein hingegen schmeichelte
sich bei den Mächtigen des polnisch-litauischen Reiches – Russlands damaligem
Gegner – ein und strebte danach, dem Bild, das von seinen Vorgängern in den
Publikationen der 1520er bis 1540er Jahre gezeichnet worden war, in Frage zu
stellen und es zu verspotten. In Johann Fabris und Paolo Giovios Werken wird der Dialog zwischen den Zivilisationen versucht. Allerdings zeigt sich dabei auch, dass es unmöglich ist, die Gegebenheiten einer Zivilisation mit den Begriffen einer anderen darzustellen. Anlässlich dieser Russland-Beschreibungen bemerkte N. V. Sinicyna zu Recht, «es handelt sich um das Aufeinandertreffen zweier Welten, die sich in vielen Parametern bedeutend unterscheiden und ungenügend voneinander unterrichtet sind, die aber bereits beschwert sind durch die Last der Tradition und durch die zu früh gegebene ideologische als auch weltanschauliche Haltung».
Sogar bei einem scheinbar so unparteiischen Autor wie Paolo Giovio ist das
Russland-Bild idealisiert, damit sein Vergleich mit den westeuropäischen
Verhältnissen der Kritik und den Korrekturen an diesen dienen konnte. Zugleich
bezweckt eine derartige Idealisierung des russischen Lebens nicht die
Anerkennung seiner Eigenarten. In der Regel passten die genannten Autoren die
erhaltene Information für sich selbst und die westeuropäischen Leser an die
gewohnten Zustände und Vorstellungen an und bauten sie in ein anderes, ihnen
verständliches System von Beziehungen und Werten ein. Dies gab der Information
neue Schattierungen und neuen Sinn. Im Endeffekt kam es häufig dazu, dass eine
von ihnen beschriebene Erscheinung äusserlich dieser oder jener Seite der
russischen Wirklichkeit ähnelte, aber gleichzeitig überaus entfernt von ihrem
Wesen war. Ohne Kenntnisse über die Eigentümlichkeit der russischen Kultur und
Zivilisation schufen diese Schriftsteller ihr Bild mit Hilfe ihnen fremder
Ideen und Begriffe und richteten sich dabei nach ideologischen Einstellungen,
die sich ihnen durch die aktuellen Ereignisse aufdrängten.
Bei
Herberstein sind die Beziehungen zweier verschiedener Welten und Kulturen
deutlich gespannter: Die Unannehmbarkeit der Werte, Prinzipien, Traditionen,
Gemüter und Ordnungen des anderen Volkes wird durch direkte oder – häufiger –
indirekte Barbarei-Beschuldigungen gegen dieses Volk begründet. Alles in
Russland ist nach Herberstein mit dem Stempel der Unvollkommenheit versehen,
nicht nur der politische und gesellschaftliche Alltag, die Religion und die
Moral, sondern auch die Menschen. Herberstein, der gebildete Europäer der
Renaissance und ausserdem ein überzeugter Anhänger des Bündnisses mit dem
polnisch-litauischen Reich, stellte Russland wie eine wilde, asiatische Welt
dar, die fremd, wenn nicht sogar feindselig gegenüber allen in Europa
geschaffenen Prinzipien der Ordnung, Moral und Kultur sei.
Folglich
wurden in den Werken über Russland, die vor allem in Basel erschienen, zwei
diametral entgegengesetzte Bilder gezeichnet, die mit diesen oder jenen Veränderungen
im Verlauf der Jahrhunderte bis zu unserer Zeit erhalten blieben. Und obwohl
das besonders von Herberstein geschaffene Russland-Bild das Übergewicht erhielt
und diejenigen beeinflusste, die sich im Weiteren daran machten, über Russland
zu erzählen, setzte sich nichtsdestoweniger auch eine Art «russische Utopie»
fort, die von Giovio und Fabri sowie
einigen anderen Autoren ihrer Zeit abgebildet worden war. Sie entsprach
bestimmten Erwartungen des westlichen Bewusstseins und prägte sich in der
Apologie des russischen Lebens oder einzelner seiner Seiten aus, mit der
zeitweise europäische Denker und Publizisten auftraten. |
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