Von der zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzenden Modernisierung der Universitätsbetriebe ging eine doppelte, tendenziell gegenläufige Wirkung aus: Einerseits bedeutete Modernisierung eine staatliche Disziplinierung, die den Professor zum Staatsbeamten machte. Die 1818 auch in Basel vorgenommene Abschaffung des «mittelalterlichen» Privilegienstatus der Universität entsprang einem europaweiten Trend. Anderseits setzte die gleiche Modernisierung ein Potenzial frei, das sich auf das Recht und die Pflicht zur kritischen Beurteilung der gesellschaftlichen Verhältnisse berief. Aus dieser Dynamik ging eine politische Professoren- und Studentenschaft hervor, die nach den Karlsbaderbeschlüssen von 1819 massiven, unter dem Namen «Demagogenverfolgungen» bekannten Repressionen ausgesetzt war.
Bis 1830 gab es in Basel keine liberale Partei - und überhaupt keine Parteien. Umso bemerkenswerter ist, dass nach 1820 eine stattliche Zahl liberaler Gelehrter aus deutschen Ländern berufen wurde. Massgebend für die Berufung der Professoren war die akademische Qualität und nicht die politische Einstellung. Man muss aber auch sagen, dass sie trotz ihrer politischen Umstrittenheit in Basel aufgenommen wurden.
Wilhelm Martin de Wette: ein Theologe rechtfertigt einen politischen Mord
Die Verknüpfung der beiden Szenerien, des deutschen und gesamteuropäischen einerseits und des baslerischen andererseits, kann man in der 1822 erfolgten Berufung des Theologen Wilhelm Martin de Wette von Berlin nach Basel erkennen. De Wette hatte die Ermordung des Schriftstellers und Staatsrats Kotzebue gegenüber der Mutter des Mörders, des Theologiestudenten Karl Ludwig Sand, in einem Trostbrief als zwar objektiv strafbar, subjektiv aber als geheiligt und gerechtfertigt bezeichnet und war deswegen vom Preussischen König abgesetzt worden. Mit dieser Berufung bekannte sich die Mehrheit des Basler Erziehungsrats zum Liberalismus, bevor es diesen in der an sich konservativen Stadt als organisierte Kraft gab. Damit waren wohl auch gesellschaftspolitische Nebenabsichten verbunden: Man wollte zum kirchlich orthodoxen und zum pietistischen Milieu einen Gegenakzent setzen.
De Wettes Abwanderung in die Schweiz war der spektakulärste Fall eines breiteren Vorgangs, der in den 1820er Jahren zunächst Basel, dann aber auch den 1833/34 in Zürich und Bern neu geschaffenen Universitäten gute akademische Lehrer zuführte. Zu Basel heisst es bei Eduard His (1941, S. 406), dass der mit der Reform von 1818 entstandene Bedarf nicht allein mit einheimischen Kräften habe gedeckt werden können. Edgar Bonjour (1960, S. 354) bemerkt, man sei noch im 18. Jahrhundert stolz gewesen, den Professorenbedarf aus eigenen Kräften decken zu können; das Universitätsgesetz von 1813 dagegen habe die Professorenberufung von der Staatsbürgerschaft bewusst entkoppelt. Der Stolz lebte dann in der Feststellung weiter, dass sich die auswärtigen Basler sehr schnell assimiliert hätten – wenn man von der Sprache absehe, und dass bald eine «Verbaslerung» eingetreten sei; viele seien schnell Basler Bürger geworden, hätten in Basler Familien eingeheiratet und öffentliche Ämter übernommen. Der mit 42 Jahren 1822 nach Basel berufene de Wette bekam nach sieben Jahren das Basler Bürgerrecht, drei weitere Jahre später heiratete er eine Baslerin, die Pfarrerswitwe Sophie von Mai-Streckeisen (His 1941, S. 42). Später wurde ein stattliches Schulgebäude nach ihm benannt.
Scharen von akademischen Emigranten
Zu den deutschen Emigranten, die im Zuge dieser Bewegung an die Universität Basel kamen, gehörten: der in Gotha geborene und 1819 mit 26 Jahren berufene Latinist Franz Dorotheus Gerlach; im gleichen Jahr der ebenfalls 26jährige Germanist Carl Friedrich Sartorius aus Sachsen, der 1821 in Psychologie und Logik habilitierte 25jährige Karl Follen, im gleichen Jahr der 33 jährige Historiker Friedrich Kortüm aus Mecklenburg und nach seinem Weggang nach Bern als sein Nachfolger der 32jährige Friedrich Brömmel aus Göttingen, der auch zeitgeschichtliche Themen (die Französische Revolution und die Epoche Napoleons) anbot und die Basler «Republik» als sein neues Vaterland pries; 1822 der bereits 42jährige Naturphilosoph Lorenz Oken, der am Wartburgfest eine Aufsehen erregende Rede gehalten hatte und aus Jena gekommen war und kurz darauf an die junge Universität Zürich weiterzog; im gleichen Jahr wurde der damals 28jährige Mannheimer Carl Gustav Jung, der ebenfalls am Wartburgfest teilgenommen hatte, an die Medizinische Fakultät berufen; bereits zwei Jahre später (1824) war er Basler Bürger, bereits sechs Jahre später (1828) Rektor der Universität. Speziell sind noch zu erwähnen: der Italianist Luigi Picchioni, ehemaliges Mitglied des Geheimbundes der Carbonari; sowie die beiden aus Nassau stammenden Gebrüder Snell: der Rechtsgelehrte Wilhelm Snell, der 1821 als 32jähriger nach Basel kam und zunächst als Privatdozent, dann als Extraordinarius tätig, zwischen 1825 und 1833 viermal Dekan der Juristischen Fakultät und 1830 sogar Rektor der Universität war, 1833 für kurze Zeit nach Zürich ging und 1834 nach Bern wechselte, wo er der erste Rektor der neu gegründeten Universität wurde, sowie der jüngere Bruder Ludwig Snell, der 1827-1831 als Dozent für Philologie ebenfalls in Basel war, dann über Zürich nach Bern kam, wo er einen Lehrstuhl für Staatswissenschaften innehatte. Jakob Stämpfli, einer seiner Studenten, wurde auch sein Schwiegersohn und einer der einflussreichsten Radikalen der schweizerischen Politik.
Nicht alle waren politisch Verfolgte. Der aus Baden stammende begabte Chemiker Christian Friedrich Schönbein, 1828 mit 29 Jahren nach Basel geholt, war zwar ein leidenschaftliches Mitglied des Basler Akademischen Freikorps, aber kein politischer Emigrant. Es entsprach den Verhältnissen jener wirren Zeiten, dass Schönbein ohne regulären Studienabschluss nach Basel gekommen war und 1829 mit einem Doctor honoris causa ausgestattet wurde, damit er überhaupt einen akademischen Titel hatte. Der bekannte Poet Ludwig Uhland, der sich damals – allerdings erfolglos – in Basel um eine Professur für deutsche Literatur beworben hatte, war ebenfalls kein Opfer der politischen Verhältnisse und wurde dann nach Tübingen berufen. In der gleichen Periode wurden – wie zuvor und später – manche Professoren auch aus Basler Familien berufen, beispielsweise Emanuel Linder, Peter Merian, Christoph Bernoulli. Es wäre spannend zu wissen, wie sich die unterschiedlichen Mitglieder des gleichen Kollegium miteinander vertragen haben. Edgar Bonjour spricht von kritischen Stimmen, die sich auch ausserhalb der Universität gegen die «fremden Meister und Gesellen» erhoben hätten (1960, S. 352ff).
Druck von aussen
Die Berufungen deutscher Oppositioneller brachte Basel in den Ruf, ein «Demagogennest» zu sein. Preussen verbot 1824 seinen Untertanen , in Basel zu studieren. Schon die Berufung de Wettes hatte Basel suspekt gemacht. In Deutschland zusammengetragene Verhöraussagen belasteten insbesondere Follen und den älteren Snell sehr. Die Eidgenossenschaft stand unter dem Druck der Mächte der Heiligen Allianz und gaben diesen unter anderem nach Basel mit der Mahnung weiter, man solle die revolutionäre Tätigkeit der Deutschen unterbinden. Bereits revolutionär erschien das Angebot von Lehrveranstaltungen über Naturrecht. Die Vertreter der preussischen und österreichischen Mächte forderten die Verhaftung und Auslieferung Follens und Snells. Wenn die gesamtschweizerischen und insbesondere die kantonalen Behörden solchen Ansinnen nicht entsprachen, geschah dies nur teilweise zum Schutz der derjenigen, die ins Visier der politischen Polizei ihrer Heimatstaaten geraten waren, mindestens so sehr ging es darum, die Unabhängigkeit gegenüber den fremden Mächten zu demonstrieren. Man betonte, sich selbst des Problems annehmen zu wollten, und führte eigene Untersuchungen durch.
In den sich über drei Jahren hinziehenden Verfahren bestritten die der revolutionären Agitation Beschuldigten alle Vorwürfe. In der Literatur heisst es, sie hätten nach dem Grundsatz der Notwehr die Basler Behörden «seelenruhig» angelogen. Es ging unter anderem um den Vorwurf, auch in wilden Liedern den Fürstenmord als Mittel zum heiligen Zweck gepriesen zu haben. Follen hatte aber auch versucht, wie zu Giessener Zeiten erneut einen geheimen Jünglingbund zu organisieren. Der Revolutionär konnte sich mit Hilfe von «jungen Basler Herren», die Geld und falsche Dokumente zur Verfügung stellten, nach Amerika absetzen. Paul Burckhardts zog 1942 das Fazit: «Basel aber hatte für die Freiheit seiner Universität gegen fremde Machtansprüche und gegen den Druck einer ängstlichen Bundesbehörde mit Ehren und nicht ohne Erfolg gekämpft.»(1942, S. 153).
Die Darlegung wäre unvollständig und muss abgerundet werden mit einem Blick auf einen späteren Zuzüger, der ‹erst› 1833 nach Basel kam und ebenfalls kein wirklicher Exilant war. Der nachmals berühmte Germanist Wilhelm Wackernagel, 1806 geboren, war zu jung, um ein wichtiger Aktivist in den frühen Kämpfen für eine liberale Gesellschaftsordnung zu sein. Er war Patriot und Anhänger der Turnerbewegung, kam als 14jähriger Schüler in die Mühlen des Staatsschutzes, blieb aber in Preussen. In den Jahren 1824-1827 studierte er in Berlin, er konzentriert sich auf seine Wissenschaft und sein schriftstellerisches Schaffen, einen Abschluss erlangte er aber nicht. Über eine Freundschaft mit dem Basler Theologen Abel Burckhardt, den er in Berlin kennengelernt hatte, erhielt der brotlose Gelehrte 1833 einen Ruf nach Basel. Und auf der Reise nach Basel erhielt er in Göttingen noch den fehlenden Doktortitel, wobei Freunde für die Gebühren aufkommen mussten (His, 1941, S. 117). 1835 wurde er, 29jährig, Ordinarius für deutsche Sprache und Literatur. 1837 schenkte ihm Basel das Bürgerrecht, nachdem er von Preussen wegen seines Aufenthalts im Basler «Demagogennest» ins Visier genommen worden war. Wackernagel blieb zeitlebens mit Preussen verbunden, aber einen Teil seines Patriotismus liess er seiner zweiten Heimat zukommen. Viele seiner Schriften befassten sich mit schweizerischen und baslerischen Gegebenheiten. Bereits seine Antrittsrede von 1833 galt den «Verdiensten der Schweizer um die deutsche Literatur.» 1843/44 bot sich die Gelegenheit, sich in gleich mehreren Schriften mit der Schlacht von St. Jakob (1444) zu befassen. 1841 wurde er erstmals Rektor, es sollten zwei weitere Rektorate 1855 und 1861 folgen. Im Jahr seiner Einbürgerung heiratete er die Schwester seines Zürcher Studienfreunds Johann Caspar Bluntschli. Nach deren Tod ging er 1850 eine zweie Ehe mit einer Frau aus der Basler Oberschicht ein. Er heiratete Maria Salome Sarasin, Tochter des Industriellen Sarasin-Heusler und Schwester des Ratsherrn Sarasin-Vischer. Basel kam nicht nur Wackernagels geistiges Schaffen zu gute, die Stadt erhielt durch ihn (und dessen Frau) drei Söhne, die ihrerseits Basel wiederum bereicherten: Johann Gottfried Wackernagel (1844) war Redaktor der «Basler Nachrichten»; Jacob Wackernagel, der Indogermanist, wurde wiederum Rektor der Universität und war Vater eines weiteren Gelehrten, des Staatsrechtlers Jacob Wackernagel jun. (1853), der 1934 Ordinarius für Staatsrecht wurde. Rudolf Wackernagel (1855) war Staatsarchivar und Verfasser einer grossen Basler Geschichte.