Totengässlein: Ort der Denker, Sammler und Institutionen
Geht man von der Schneidergasse das Totengässlein
zur Peterskirche hinauf, sieht man den hohen Kopfbau, der im
klassizistischen Stil den Anstieg des Nadelbergs markiert. Er wurde vom
Basler Architekten Lukas Amadeus Merian (1808-1889) im Jahr 1856
errichtet. Das Haus gehört heute der Universität Basel und kann auf
eine lange Geschichte im Dienst der Wissenschaft, aber auch zum
Wohlergehen einer breiten Bevölkerungsschicht als Heil- und Lehr-Stätte
zurückschauen.
Das Haus «zum Sessel». Ein Zentrum des Basler Humanismus Mit der Druckerei kamen zahlreiche berühmte Vertreter des Humanismus und Gelehrte aus dem Umfeld der Universität in das Haus am Totengässlein. Schliesslich wird dort, wo Bücher herausgegeben werden, viel redaktionelle Arbeit geleistet. Die Druckherren, die zugleich auch als Verleger tätig waren, dienten zahlreichen Gelehrten an der damals noch jungen Universität als wichtige Auftrags- und Arbeitgeber. Sie beauftragen Lektoren mit der redaktionellen Arbeit der zu druckenden Werke. Dafür mussten die Manuskripte als Druckvorlagen in Klosterbibliotheken aufgespürt, ausgeliehen oder abgeschrieben werden. Vor allem bei kommentierten Ausgaben von Kirchenvätern, der Bibel oder griechischen und lateinischen Klassikern galt es die zu berücksichtigenden Kommentare auszuwählen und Handschriftenvarianten zu vergleichen. Für viele Gelehrte boten die Arbeiten in den Druckereien willkommene Gelegenheiten sich einen Namen zu machen, Geld zu verdienen oder schlicht und einfach die Lateinkenntnisse aufzubessern. Unter den Basler Gelehrten, die in der Druckerei «im Sessel» arbeiteten, finden sich heute noch bekannte Grössen, darunter Sebastian Brant (um 1457/58-1521), der 1475 an die Universität Basel kam und hier kanonisches Recht unterrichtete. Daneben wirkte er an der Herausgabe von über 90 Drucken mit, unter anderem bei Johannes Amerbach und Johannes Froben im Totengässlein. Durch seine Arbeiten als Berater, Lektor, Autor und Herausgeber gilt Sebastian Brant heute als «Wegbereiter des Humanismus am Oberrhein». Als Frobens Lektor und Korrektor arbeitete auch Johannes Reuchlin (1455-1522), der Schlettstädter Humanist Beatus Rhenanus (eigentlich Beat Bild, 1485-1547) sowie Sebastian Münster (1488-1552), letzterer vor allem für die Herausgabe von Texten in hebräischer Sprache.
Auch Basels Reformator Johannes Oekolampad arbeitete 1515 zusammen
mit dem Münsterprediger Wolfgang Fabricius Capito als Korrektor bei
Johannes Froben. Während der Arbeiten an der Drucklegung der
griechisch-lateinischen Ausgabe des Neuen Testamentes durch Erasmus von
Rotterdam wohnte Oekolampad sogar bei Froben «im Sessel». Ein neues Kapitel der Hausgeschichte begann 1814 mit dem Einzug der «obrigkeitlichen Töchterschule» in das Haus «Zum Sessel». In Basels erster staatlicher Mädchenschule wurde morgens Religion, Deutsch, Französisch, Geographie und Geschichte unterrichtet, nachmittags Handarbeit. Im Hinterhaus, das einst als Druckerei diente, zogen die drei Klassen ein, während das Vorderhaus dem Rektor als Wohnung diente. Bis 1843 hatte die Töchterschule aufgrund schwankender Schülerinnenzahl und damit verbundenem unsicherem Einkommen ein ungewisses Schicksal. 1856 schliesslich, in die Jahre gekommen und für die Funktion als Schulhaus ungeeignet, wurde der vordere, am Totengässlein gelegene Teil durch den Basler Architekten Amadeus Lukas Merian umgestaltet und die Fassade historistisch, im Sinn des romantischen Klassizismus der Münchner Schule neu gestaltet. Amadeus Merian war 1835-59 Basels erster Bauinspektor. 1838-40 errichtete er seinen ersten Neubau, das Gesellschaftshaus Café Spitz auf der rechten Seite der Mittleren Rheinbrücke. Das Hotel Drei Könige folgte 1842-44. Für die Lehrtätigkeit der Töchterschule wurde das Haus «Zum Sessel» zusehends zu eng. In den 1860er Jahren mussten immer mehr externe Räume als Klassenzimmer hinzugenommen werden. Der weitere rasche Anstieg der Schülerinnen liess einen Neubau unvermeidlich werden. Im Oktober 1884 konnte dieser in der Kanonengasse eingeweiht werden. Die «obrigkeitlichen Töchterschule» verliess das Haus »Zum Sessel». Dreizehn Jahre später wurde der «Sessel» erneut zum Schulhaus. Die Frauenarbeitsschule suchte ein neues Domizil, nachdem ihr das Schulgebäude an ihrer alten Adresse, am Stapfelberg 9, für die fast 1300 Schülerinnen zu eng geworden war. Die Frauenarbeitsschule war ein Kind der Gemeinnützigen Gesellschaft GGG und bildete das Gegengewicht zur obrigkeitlichen Töchterschule, welche in Teilen der Gesellschaft als zu intellektuell wahrgenommen wurde. Die Mädchen sollten wieder mehr auf häusliche und hauswirtschaftliche Aufgaben vorbereitet werden. Kochen, Nähen, Buchhaltung, Krankenpflege, Wohngestaltung und Gartenbau gehörten daher zum Fächerkanon. Aber auch für die Frauenarbeitsschule wurde das Haus «Zum Sessel» im Laufe der Zeit zu eng. 1916 bezog die Schule einen Neubau in der Kohlenberggasse. Unterdessen war sie auf 1872 Schülerinnen angewachsen.
Bereits ein Jahr später, im Oktober 1917, bezog die Universität Basel
die Liegenschaft mit der neu gegründeten «Pharmazeutischen Anstalt».
Die neue eidgenössische Prüfungsordnung von 1912 hob die Anforderungen
für die Ausbildung der Apotheker so kräftig an, dass die Schaffung
einer eigenen Lehranstalt in Basel notwendig erschien. Für das Studium
wurden die Räume neu mit Laboratorien versehen und boten Arbeitsplätze
für 36 Studierende und Doktoranden. 80 Jahre nach dem Einzug in das Haus «zum Sessel» konnte das Haus im Totengässlein den Anforderungen an ein modernes Institut mit Lehr- und Forschungsbetrieb nicht mehr genügen. Das Pharmazeutische Institut der Universität Basel konnte 1999 nach langer Bau- und Planungszeit den Neubau in der Klingelbergstrasse beziehen. Das Pharmazie-Historische Museum blieb an seinem angestammten Platz, während die im Totengässlein leer stehenden Büroräume und Laboratorien von verschiedenen Universitätsinstitutionen derzeit zwischengenutzt werden. |
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